autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar

Bewegungsle(e/h)re?
Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker Gegenoeffentlichkeit
 
Obwohl die (radikale) Linke sich permanent selbst vergewissert, welch 
toter Hund sie im Grunde genommen sei, will sie selbst doch nicht ganz 
daran glauben. Derzeit unternehmen nicht wenige disputierende Zirkel 
unter dem Label 'Gegenoeffentlichkeit' einen Wiederbelebungsversuch. Doch 
fuer uns besteht der Verdacht, dass die Rosskur des medialen (Dis)Kurses 
von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, nachdem die Utopien abhanden 
gekommen sind. 
Die aktuellen Diskussionen zum Thema 'Gegenoeffentlichkeit' erscheinen 
uns mit zwei Tendenzen eng verknuepft: dem generellen Lamento ueber die 
heutige Krise der linken Medien einerseits und den dazu kontrastierenden, 
mitunter fast euphorischen Hoffnungen auf die mit den neuen telematischen 
Kommunikationstechnologien (Internet) verbundenen Moeglichkeiten. 
Im folgenden gehen wir zunaechst der linken Version des Mythos von der
'Informationsgesellschaft' nach.  Daran schliessen sich zum zweiten 
einige Anmerkungen zur Rolle der alternativen und eigenen Medien in der 
'Bluetezeit' der sozialen Bewegungen an. Drittens versuchen wir, einige 
Konsequenzen fuer die Rekonstruktion eines politischen Projekts einer 
radikalen Linken zu umreissen, die sich vor dem Hintergrund der 
analysierten aktuellen Tendenzen im Bereich 'Gegenoeffentlichkeit' ergeben.
 
Medientheorie und Informationsfetisch
Bei der gegenwaertigen Diskussion um linke Gegenoeffentlichkeit und 
Gegenmacht werden unseres Erachtens zwei historisch unterschiedliche 
linke Medienkonzepte staendig durcheinandergeworfen. In Anlehnung an 
Geert Lovink (Agentur Bilwet, Amsterdam) gehen wir davon aus, dass es 
Sinn macht, die Medien der linken Gegenoeffentlichkeit hinsichtlich ihrer 
Funktion idealtypisch in 'alternative' und 'eigene' Medien zu 
unterscheiden. 'Alternative' Medien spiegeln sich vornehmlich an den 
buergerlichen Medien, indem sie bestaendig eine inhaltlich korrigierende 
und das bestehende Informationsspektrum ergaenzende Aufgabe wahrnehmen. 
Dabei kam den 'alternativen' Medien vor allem bei der Bereitstellung 
abweichender Lesarten sozialer und politischer Widersprueche in den 
70er/80er Jahren eine wichtige Funktion fuer die Konstitution einer
'liberalen' Oeffentlichkeit zu. Davon zu unterscheiden ist die 
Herausbildung 'eigener' Medien, die nicht mehr so sehr auf die 
Bewusstwerdung der anderen, sprich auf eine direkte Beeinflussung bis 
Bereicherung der allgemeinen 'Oeffentlichen Meinung' setzen. Der 
eigentliche Unterschied zu den 'alternativen' Medien besteht dabei in der 
Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich 
nicht nur inhaltlich in explizit linken Stellungnahmen und Diskussionen 
aeussert, sondern auch ueber das Aufgreifen subkultureller Themen und 
Codes. Auf Szenen und subkulturelle Orte bezogen stellen 'eigene' Medien 
gewissermassen Orientierungspunkte der dortigen sozialen Praxis
bereit. Dabei kommt ihnen primaer eine Identitaeten und Binnendiskurse 
stabilisierende Funktion zu. Zwar bewegen sich die 'eigenen' Medien in 
einem durch Slang und Gangart ihrer subkulturellen Basis eng begrenzten 
Raum, doch funktioniert hier der Austausch zwischen Publikum und 
Macherinnen noch am besten. 
Bei dieser Einschaetzung der Funktionsweise linker Medien wird deutlich, 
dass die sozialen Beziehungsrahmen und die aussermedialen politischen und 
kulturellen Praxen, in die sich linke Medien einordnen, fuer uns einen 
zentralen Stellenwert haben. Die Bedeutung dieses Bezugs wurde aber in 
den Diskussionen um linke Gegenoeffentlichkeit weitgehend ausser acht 
gelassen, solange ueberzogene Vorstellungen von den Moeglichkeiten einer 
medialen linken Intervention in die buergerliche Oeffentlichkeit 
dominierten. Es wurde, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, dass nur 
genug Aktivistinnen an moeglichst vielen Stellen Gegenoeffentlichkeit 
herstellen muessten, wodurch dann irgendwann eine gesellschaftsveraendernde
Kettenreaktion ausgeloest wuerde. Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte
sich aus dieser Logik heraus die Aufgabe, die in den buergerlichen Medien
unterbliebenen Nachrichten zu verbreiten. Diese Konzeption von
'Gegenoeffentlichkeit' bezeichnet G. Lovink als 'Megaphonmodell', denn sie
unterstellt unausgesprochen einen kausalen Zusammenhang zwischen Information,
Bewusstsein und Handeln. Dahinter steht die Vorstellung einer manipulativen
Medienwirkung, derzufolge es ausreicht, im Kommunikationskanal die 'falschen'
Ideen durch die 'richtigen' zu ersetzen: Wenn die Menschen nur lange genug
'die Wahrheit' hoeren, werden sie irgendwann ihre Meinung aendern und sich
gegen die (sie be)herrschenden Verhaeltnisse wenden. Diese klassische
Konzeption zur Schaffung von Gegenoeffentlichkeit kann sich auf Theoretiker
wie Brecht oder Enzensberger berufen. Sie naehrten im Glauben an die Wirkung
von richtigen Informationen die Ueberzeugung, dass es genuege, wenn die 
Linke die Sendezentralen der Massenmedien uebernaehme bzw. ueber 
ausreichend starke eigene Medien verfuege, um ihren Ideen Plausibilitaet 
und Durchschlagskraft zu verleihen. Ein derartiges medientheoretisches 
Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Information zu bewirken, 
versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument. Die 
Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass ein solches, auf die 
Uebermittlung der 'richtigen' Informationen fixiertes Verstaendnis von 
Medien und Medienrezeption zu kurz greift. Denn heute sind, nicht zuletzt 
durch die Existenz von Gegenoeffentlichkeit, auch gesellschaftskritische 
Informationen jederzeit verfuegbar. Sie bleiben aber folgenlos. Das 
deutet darauf hin, dass die Medienkonsumenten gezielt Informationen 
auswaehlen und andere ignorieren. Diese Auswahl ist strukturiert durch 
das Interesse, gesellschaftliche Wirklichkeit in einer Weise 
wahrzunehmen, die die eigenen Selbst- und Gesellschaftskonzepte 
legitimiert. Es geht darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass es ein 
gesellschaftliches Verhaeltnis gibt, das Erkenntnis vorstrukturiert. So 
wird umgekehrt ein Schuh daraus: Heute mangelt es in der 
buergerlichen Gesellschaft nicht an Informationen, sprich an 
Gegenoeffentlichkeit, sondern das Hauptproblem ist deren absolute 
Folgenlosigkeit.
In "Oeffentlichkeit und Erfahrung" haben Negt/Kluge bereits 1972 darauf 
verwiesen, dass die Subjekte sich "die blosse Abbildung der Realitaet" 
nur dann aneignen, wenn sie zugleich wissen, wie sie aktiv die sie 
bedrueckenden Verhaeltnisse veraendern koennen: "Erst aus dieser 
Handlungsmoeglichkeit koennte sich ihr Interesse am Realismus 
rekrutieren." Das macht deutlich, dass ein umfassender 
Gegenoeffentlichkeitsbegriff nicht auf den medialen Aspekt reduziert 
werden darf. Mediale Interventionen muessen in einem umfassenderen 
Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gedacht werden. 
(Gegen-) Oeffentlichkeit ist dann mehr als Bildschirm, Radio oder 
Zeitung. Mediale Strategien, die allein auf den Informationsaspekt setzen 
und den umfassenderen Lebenszusammenhang bei der Konzipierung politischer 
Strategien aussen vor lassen, laufen Gefahr, den medialen Bereich zu 
ueberschaetzen. (Mit dieser Ueberschaetzung von Medienwirkungen befinden 
sie sich uebrigens in gutbuergerlicher Gesellschaft, vgl. die 
Diskussionen um Mediengewalt.) 
In diesem Zusammenhang erscheint uns ein weiterer Aspekt wichtig, der 
zwar genau wie Negt/Kluges Erkenntnis hinreichend bekannt ist, aber 
genausowenig Folgen fuer die Diskussion der Strategien linker 
Gegenoeffentlichkeit hatte: Die linken medientheoretischen Vorstellungen 
in der Nachfolge Brecht/Enzensbergers setzen voraus, dass die 
herkoemmlichen Massenmedien sich - einmal im Besitz der richtigen Leute - 
als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen. 
Aber das ist eine Mystifkation, denn Massenmedien sind nicht 
demokratisch. Ihre Kommunikationsform macht einen wirklich 
gleichberechtigten Austausch unmoeglich, denn Massenmedien beruhen auf 
dem Prinzip der Vervielfaeltigung von Informationen in nur eine Richtung, 
von den Produzierenden hin zu den Konsumentinnen. Ausserdem reproduzieren 
sie durch die Einbahnstrasse ihres Kommunikationskanals Machtpositionen. 
Eine Strategie von Gegenoeffentlichkeit, die sich auf Massenmedien 
stuetzt, vergisst, dass Massenmedien keine Reziprozitaet im Sinne von 
Gegenseitigkeit ermoeglichen, sondern einen eng gesteckten Rahmen setzen, 
was von wem in welcher Weise mitgeteilt werden kann und wer zum Schweigen 
verurteilt ist. Reversibilitaet (also Umkehrbarkeit des 
Informationsflusses, z.B. Hoererinnenanrufe oder Leserinnenbriefe) ist 
nicht mit Reziprozitaet gleichzusetzen. Aufgrund dieser 
Nicht-Reziprozitaet koennen Massenmedien fuer die Empfaengerinnen 
allenfalls in sehr reduzierter Weise Ausgangspunkt oder Element von ueber 
den reinen Medienkonsum hinausgehenden sozialen Praxen werden (fuer die 
Macher mag das anders aussehen).
 
Gegenoeffentlichkeit und soziale Praxis
Diese Kritik an einem verbreiteten linken Medienverstaendnis rueckt aus 
unserer Sicht auch die derzeitige Krise alternativer Medien in ein 
anderes Licht. Denn moeglicherweise war es gar nicht so, dass linke 
Gegenoeffentlichkeit 'frueher' besser 'funktionierte'. Wir denken, dass 
nicht die damalige Medienpraxis gut war, sondern vielmehr, dass die 
Staerke der sozialen Praxis die Unzulaenglichkeiten der medialen, 
'inhaltlichen' Vermittlung unsichtbar machte. Wo man glaubte, durch 
Aufklaerung weitergekommen zu sein, war es in Wirklichkeit nicht die 
schlagende Brillanz der Argumente aus der Gegenoeffentlichkeit, die
bei vielen Leuten ein Interesse fuer bestimmte Themen und Sichtweisen und 
ein Beduerfnis nach entsprechenden Informationen hervorrief. Vielmehr
war dieses Interesse Ausdruck von Veraenderungen der eigenen 
Lebenszusammenhaenge vor dem Hintergrund jener gesellschaftlichen 
Transformationen, in deren Zuge auch die 'neuen sozialen Bewegungen' ihre 
Bedeutung gewannen. 
Etwas zugespitzt liesse sich daraus folgern, dass es nicht die linken 
Medien waren, die zur Ausbreitung der politischen Bewegungen beitrugen, 
sondern dass umgekehrt die Staerke der Bewegungen vor dem Hintergrund 
einer spezifischen gesellschaftlichen Situation den linken Zeitungen, 
Zeitschriften und Radios zu einer gewissen Verbreitung verhalf. Und in 
dieser Lesart ist es offensichtlich, worin der Unterschied zwischen den 
Funktionsweisen linker Oeffentlichkeit damals und heute besteht. Die 
Friedens-, die Anti-AKW- oder die feministischen Bewegungen boten 
konkrete Handlungsangebote und -zusammenhaenge. Gegenoeffentliche 
Medieninformationen gewannen vor diesem Hintergrund ihr Interesse, wurden 
verbreitet und rezipiert. Die Tatsache, dass Medieninformation ohne im 
Rahmen einer sozialen Praxis gegebene Handlungsmoeglichkeiten wirkungslos 
bleibt, fiel damals gar nicht weiter auf, und dies fuehrte zu dem 
Trugschluss, dass Medieninformation per se zu politischem Handeln fuehrt.
Heute aber wird vor dem Hintergrund des Fehlens starker politischer und 
sozialer Bewegungen deutlich, dass zwischen Anspruch und realer Funktion 
von Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' ein Widerspruch besteht (und 
vielleicht schon immer bestand). Auch solche Medien, deren Anliegen es 
war, in die buergerliche Oeffentlichkeit zu wirken, dienten faktisch wohl 
doch in erster Linie eher der Vernetzung und Selbstvergewisserung 
innerhalb der Linken, so dass es sich letzten Endes eher um 'eigene' denn 
alternative Medien handelte. Solange soziale und politische Bewegungen 
der 70er Jahre 'intakt' waren, fiel dieser Widerspruch zwischen Anliegen 
und tatsaechlicher Funktion ebensowenig auf wie die Tatsache, dass 
Information und Ideologiekritik fuer sich genommen keinen Hund hinter dem 
Ofen hervorlocken. Nun aber unterstreicht die Entwicklung die Richtigkeit 
von Negt/Kluges Analyse, dass Information per se nichts bewirkt, wenn 
nicht eine soziale Praxis damit verbunden ist. Wenn aber Stellenwert und 
Wirkungsweise von Information nicht allein durch ihren Wahrheitsgehalt 
bestimmt sind, sondern durch den Kontext, innerhalb dessen Information 
rezipiert wird und die Schluesse und Handlungsweisen, die daraus 
abgeleitet werden, dann ist das Konzept einer Aufklaerung durch
Information problematisch.
 
Campaigning
Betrachten wir ueber den Tellerrand der linken Medienpraxis hinaus den 
Mainstream der buergerlichen Massenmedien, so scheint es zunaechst, dass 
ein solcher Blick unsere These "Informationen bleiben tendenziell 
folgenlos" widerlegt. Themen, die eigentlich in den Bereich der 
klassischen Gegenoeffentlichkeit (Oekologie, Ruestung) gehoeren, wurden 
Gegenstand grossangelegter und in ihrem selbstgesetzten Rahmen auch 
erfolgreicher Medienkampagnen. Auf kurzfristige Ziele bezogen, erreichten 
die Greenpeace-Proteste gegen das Versenken der Shell-Bohrinsel in der 
Nordsee sowie gegen die franzoesischen Atomversuche auf dem Mururoa-Atoll 
relativ grosse Breitenwirkung. Naja, Greenpeace ... 
Aber solche Aktionen, die die Funktionsweise oeffentlicher Medien genau 
kalkulieren, um eine moeglichst breite Wirkung zu erzielen, sind auch in 
anderen Bereichen moeglich. Waehrend kleine politische Gruppierungen seit 
Jahren versuchten, Solidaritaet mit dem politischen Gefangenen Mumia Abu 
Jamal zu organisieren und nur relativ bescheidene Erfolge erzielen
konnten, gelang es in einer grossangelegten Solidaritaetskampagne 
wenigstens zunaechst, den staatlichen Mord an Mumia zu verhindern. 
Offenbar ist es also durchaus moeglich, durch eine bestimmte Form der 
Nutzung buergerlicher Medienoeffentlichkeit nicht nur gesellschaftliche 
Resonanz, sondern auch konkrete Erfolge zu erzielen. Bedingung fuer eine 
solche Mediennutzung, die wir hier als Campaigning bezeichnen, ist 
allerdings, sich den Funktionsmechanismen buergerlicher Medien weitgehend 
zu unterwerfen. Professionalisierung, Effizienz und Medienkompatibilitaet 
werden hierbei zu wesentlichen Kriterien politischen Handelns. Der 
Medienfetisch 'Ereignis' bestimmt, was berichtet wird. Das Spektakel der 
Greenpeace-Aktionen bedient diesen Fetisch ebenso wie die Darstellung von 
Mumia ("Der Mann, der ein Buch aus der Todeszelle schrieb"). Der Erfolg 
dieser Art von Campaigning liegt nicht zuletzt darin, dass es sich auf 
kurzfristige, punktuelle und 'realistische' Interventionen beschraenkt, 
in deren Rahmen der Medienkonsumentin konkrete Handlungsanweisungen 
angeboten werden, an denen jeder im Rahmen seines Alltages mitmischen 
kann: Tankt nicht bei Shell, kauft keine franzoesischen Produkte, 
schreibt an Richter Sabo. 
Diese Handlungsanweisungen stellen aber das grundsaetzliche Handeln bzw. 
die Lebensweise der Handelnden nicht infrage, sondern ermoeglichen es den 
Buergerinnen, sich als kritische Teilhaberinnen am politischen Geschehen 
wahrzunehmen, ohne die Verfasstheit der Gesellschaft als Ganzes zu 
kritisieren. Das massenmedial vermittelte gesellschaftliche Handeln 
erschoepft sich darin, im Einklang mit zumindest Teilen der Herrschenden 
in Einzelfragen zu intervenieren (Weizsaecker und Kinkel fuer Abu Jamal). 
Losgeloest von jeglicher grundlegenden Gesellschaftskritik dient diese 
Form der Intervention hauptsaechlich dem guten Gewissen aller 
Beteiligten. Es entsteht weniger eine soziale Praxis als eine (mediale) 
Simulation derselben (In demselben Sinne liessen sich vielleicht auch die 
Lichterketten als eine Simulation von Antirassismus interpretieren, die 
eine nicht existierende antirassistische Alltagspraxis ersetzte). Es soll 
jetzt nicht darum gehen zu behaupten, Campaigning sei per se verwerflich 
und diene nur der Stabilisierung gegenwaertiger gesellschaftlicher 
Verhaeltnisse. (Auch uns ist es lieber, dass Mumia noch lebt.) Vielleicht 
steckt in solchen Medienkampagnen ja doch noch ein Kern von Politisierung 
der Konsumentinnen. Aber: Schon aufgrund der Struktur massenmedialer 
Kommunikation ist mehr wohl prinzipiell nicht zu erreichen. Eine 
Handlungsaufforderung wie "Kauft nicht bei Shell!" laesst sich 
massenmedial erfolgreich vermitteln. Eine soziale Praxis, die auf 
grundlegendere Veraenderungen der Gesellschaft abzielt, ist aber nicht in 
solche Anweisungen zu kleiden. Sie erfordert Diskussionen, Versuche, Mut 
zum Unfertigen und Unrealistischen - all das, wofuer in der 
Einbahnstrasse massenmedialer Kommunikation kein Platz ist.
 
Don't believe the Hype? Gegenoeffentlichkeit im Internet 
Wenn wir uns der Frage zuwenden, welche Chancen sich fuer eine linke 
'Gegenoeffentlichkeit' aus neuen technischen Entwicklungen ergeben, ist das
fuer uns zentrale Problem nicht, welche neuen Kanaele der 
Informationsuebermittlung sich durch freie Radios, Mailboxen und Internet 
allgemein bieten. Vielmehr geht es darum zu klaeren, wo solche Medien im 
sozialen Raum positioniert sind und welche neuen (Handlungs)perspektiven 
sie eroeffnen. Auch die Diskussionen um das Internet als neuen Ort linker 
Medienpraxis kreisen in erster Linie um den Fetisch "Information, 
Information, nochmal Information und zwar fuer alle". Dabei werden 
Diskussionen ueber die nun technischen Moeglichkeiten von 
Gegenoeffentlichkeit wiederholt, wie sie aehnlich z.B. auch im 
Zusammenhang mit freien Radios gefuehrt wurden. Berauscht von der 
Tatsache eines riesigen, internationalen und deswegen kaum zensierbaren 
Informationsflusses bleibt die Diskussion zumindest innerhalb der Linken 
haeufig an diesem Punkt stehen. Dabei ist auch hier zu fragen, welcher 
Stellenwert solcher Information zukommt: "Die Rede von der Mailbox als 
universelles Medium erweist sich vollends als Mythos, wenn der Austausch 
von Daten und politischen Informationen zum puren Selbstzweck wird, falls 
diese sich am Ende nicht in politischer Praxis materialisieren. Das 
heisst, die Anwendung dieser neuen Technologie (fuer sich genommen) 
erreicht nichts!" (Thomas Kunz, links 3/94). 
Die spannendere Frage waere aber aus unserer Sicht, was von Vorstellungen 
zu halten ist, die das Internet auch und gerade als potentiellen Ort 
neuer sozialer Praxen verstehen. Es darf nicht uebersehen werden, dass 
sich das Internet von traditionellen Medien insofern wesentlich 
unterscheidet, als es die Moeglichkeit einer reziproken und interaktiven 
Kommunikation bietet. Besteht die Aussicht, sich in diesem Rahmen 
selbstbestimmte Orte zu schaffen, 'temporaere autonome Zonen' (Hakim 
Bey), in denen die gesellschaftlichen Regeln zumindest zeitweise ausser 
Kraft gesetzt (bzw. noch gar nicht verbindlich formuliert) sind? Und wenn 
ja, welche Auswirkungen hat das auf die soziale Existenz ausserhalb der 
Netze? 
Die Kritik an solchen Vorstellungen wird haeufig von einer Position aus 
formuliert, die offen oder implizit die 'authentischen' Formen von 
Kommunikation, Interaktion und sozialer Praxis in der 'wirklichen' Welt 
der Scheinwelt des Cyberspace gegenueberstellt. Uns erscheint eine solche 
unterschwellig naturalisierende Gegenueberstellung und Bewertung von 
Formen menschlicher Praxis fragwuerdig. Vielleicht bietet gerade die 
reduzierte und 'unauthentische' Form der Kommunikation im Netz die 
Chance, dort bestehende soziale Identitaeten zumindest teilweise ausser 
Kraft zu setzen. Bei der Beurteilung, welche tatsaechlichen 
Moeglichkeiten sich hier bieten, ist unkritische Begeisterung ebenso 
unangebracht wie vorschnelle Ablehnung. Viele Fragen, die sich uns 
aufdraengen, sind aus anderen Zusammenhaengen wohlbekannt: Wer sind die 
Akteure im Internet (90 % maennliche weisse Metropolenmittelschichtsbuerger,
genau wie in der Linken ...)? Wie lange wird es dauern, bis die bestehenden
Spielraeume in Netz juristisch und polizeilich domestiziert sind? Inwieweit
besteht die Gefahr, einmal mehr die Funktion der Avantgarde im
kapitalistischen Modernisierungsprozess zu uebernehmen, deren Praxen dann
in kommerzialisierter und entschaerfter Form in den gesellschaftlichen
Mainstream eingehen? Wesentlich erscheint es uns auf jeden Fall, sich bei
der Diskussion nicht selbst in den Cyberspace zu katapultieren, sondern
das Verhaeltnis von Cyber-Netzkommunikation und Kommunikation im 'realen'
Echtzeitleben im Auge zu behalten. Sonst laufen wir stets Gefahr, allzu
technologiezentriert zu diskutieren oder gar dem Mythos der 
'Informationsgesellschaft' aufzusitzen.
 
"Vorwaerts und viel vergessen!"
Es bleibt zum Schluss die Frage, was aus unseren Ueberlegungen fuer die 
linke Medienpraxis folgt. Das Hauptziel derzeitiger linker Politik 
muesste unseres Erachtens sein, Alternativen ueber die Natur 
gesellschaftlicher Beziehungen gegenueber dem bestehenden hegemonialen 
Konsens wieder denkbar zu machen, wobei es notwendig ist, die 
Modalitaeten der Herstellung dieses Konsens in Rechnung zu stellen. 
Ungeachtet der Verschaerfung von Klassengegensaetzen vollzieht sich 
gleichzeitig eine Ausdifferenzierung von Lebensstilen und deren 
Repraesentation in der buergerlichen Oeffentlichkeit. Das hat zur Folge, 
dass, was sich frueher als klar umrissener hegemonialer Diskurs ausmachen
liess, heutzutage immer schwerer zuordenbar ist. Das liegt unter anderem 
auch daran, dass sich dieser Diskurs in erster Linie nicht mehr um 
bestimmte Inhalte dreht, sondern zugleich in der Form ihrer 
Repraesentation aufgeht. Damit geht ein Eindringen in das Themenfeld 
alternativer Medien einher, deren Form absorbiert und deren Inhalte 
neutralisiert werden (So, wenn die in den alternativen Medien 
entwickelten innovativen kulturellen Servicefunktionen mittlerweile die 
oekonomische Grundlage von Stadtmagazinen a la Prinz geworden sind). 
Aufgrund des mit dieser Entwicklung einhergehenden Funktionsverlusts 
sehen sich die Medien der 'Gegenoeffentlichkeit' auf die Rolle von 
Fanzines zurueckgeworfen, die sich nur noch an eine relativ kleine 
soziale Gruppe wenden.
Als solche sind sie allerdings keinesfalls funktionslos. Linke Medien 
koennen nach wie vor einen Ausgangspunkt bilden, um bestimmte 
Informationen in eine (auch buergerliche) Oeffentlichkeit zu tragen und 
dort Momente einer Delegitimierung der herrschenden Ordnung zu bewirken; 
derartige Informationen sind nicht deshalb unnoetig, weil sie nicht 
zwangslaeufig zu gesellschaftsveraenderndem Handeln fuehren. Es gilt 
aber, die Beschraenktheit einer solchen Funktion von Medien zu 
reflektieren und um Moeglichkeiten und Spielraeume sozialen Handelns zu 
ringen (catchen? boxen? aikido?). Eine gesellschaftsveraendernde soziale 
Praxis bedarf der Utopie von einer anderen Gesellschaft. Doch ein solches 
Projekt darf nicht als hauptsaechlich medial erreichbares gedacht werden. 
Gesellschaftliche Veraenderung beginnt auch und in erster Linie im 
sozialen Alltag der Subjekte. Die Utopie einer anderen Gesellschaft 
laesst sich nicht in Buchstaben, sondern allenfalls in kulturellen Formen 
artikulieren, nicht als fertiger Text, sondern stets fragmentiert und 
unvollstaendig. Und in einem solchen Kontext haben die linken Medien einen
wichtigen Platz, auch wenn derselbe den Machern (welche bekanntlich gerne
grosse und weitreichende strategische Gedanken formulieren) nicht behagen 
mag: Als Fanzines einer Subkultur sind linke Medien unverzichtbar. 
Gemessen an alten Illusionen mag das wenig sein. Mehr als nichts ist es 
allemal.

 autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe/mittlerer neckar:
 Bewegungsle(e/h)re? Anmerkungen zur Entwicklung alternativer und linker
 Gegenoeffentlichkeit.
 Erschienen in Nr. 308/309 (Januar/Februar 1996) der Zeitschrift 'links' 
 (Sozialistische Zeitung/Verlag 2000 Offenbach - ISSN 0024-404-X. 
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