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Subject: ImMaterial 1.0 Automatische Moderne
From: pit@contrib.DE (Pit Schultz)
Date: 24 Jul 1997 13:16:13 +0200


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ImMaterial 1.0: Automatische Moderne
vom Team Telekom


wir sind die Roboter

Die Selbsterkenntnis der Kraftwerkjungs ist beispielhaft. Aber: "Ihr seid
auch die Roboter" w=E4re der n=E4chste Schritt gewesen; dazu waren die
Maschinenmusiker aber zu zur=FCckhaltend, das h=E4tte nicht ihrem Stil
entsprochen. Mit seiner Behauptung, "the conclusion that man is not a
machine is invalid", hatte der britische Mathematiker Emil Post diese
Einsicht eh' schon in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts formuliert. Wie
kommen die electronic-listening-Vorreiter, wie kommen Mathematiker zu solch
anma=DFenden, verallgemeinernden, das gesunde Selbstbewu=DFtsein des=
autonomen
Subjekts beleidigenden =C4u=DFerungen?

Intuitionismus und Formalismus

Anfang dieses Jahrhunderts entbrannte ein Streit in der Mathematik =FCber=
ihre
Beziehung zum Rest der Welt. Was ist Mathematik und worauf gr=FCndet sie=
sich,
wie sieht ihr Wahrheitskriterium aus und welches ist ihr Gegenstand? In
diesem Streit stand im Wesentlichen eine empiristische oder
intuitionistische Position einer formalistischen gegen=FCber. Die Position=
des
Empirismus oder Intuitionismus ging davon aus, da=DF es au=DFermathematische
Quellen der Inspiration gebe, auf die sich z.B. die Euklidische Geometrie
st=FCtze. Aus intuitionistischer Sicht sind die mathematischen Gegenst=E4nde
weder pr=E4existent und brauchen blo=DF noch entdeckt zu werden, wie es der
Platonismus unterstellt, noch ist formale Widerspruchsfreiheit Kriterium f=
=FCr
mathematische Existenz. Existent ist das, was in Beziehung mit dem
Lebendigen steht.

Die Position des Formalismus wurde vor allem von David Hilbert vertreten.
Sein Entwurf der Mathematik sah einen rein formalen Aufbau vor: Sie sollte
auf wenigen S=E4tzen, den Axiomen, aufbauen und sich vollst=E4ndig aus=
diesen
herleiten lassen. Innere Widerspruchsfreiheit und Eindeutigkeit sind ihre
wesentlichen Kriterien. Diese Kriterien ersetzen das traditionelle
Wahrheitskriterium, also die empirische =DCberpr=FCfbarkeit an realen
Gegenst=E4nden bzw. die mathematische Intuition als =DCberpr=FCfungsma=DFsta=
b. Im
mathematischen Formalismus gibt es keine Bez=FCge mehr zu=
au=DFermathematischen
Dingen. (Fortsetzung S. 28)

Hilberts Programm

Der Streit um den Formalismus in der Mathematik ist Geschichte. Sp=E4testens
in den 30er Jahren hatte sich Hilberts Auffassung durchgesetzt, obwohl sein
Beweisprogramm keinesfalls abgeschlossen war. Hilberts Ziel war es, die
Mathematik so zu formulieren, da=DF sie die Kriterien Widerspruchsfreiheit,
Vollst=E4ndigkeit und Entscheidbarkeit erf=FCllte. Das bedeutet erstens, da=
=DF
immanent die Widerspruchsfreiheit des mathematischen Geb=E4udes (keine zwei
sich ausschlie=DFenden Aussagen k=F6nnen hergeleitet werden) in endlich=
vielen
Schritten nachgewiesen werden mu=DF (Widerspruchsfreiheit). Zweitens, da=DF=
es
keine mathematischen Ph=E4nomene gibt, die sich der Beschreibung durch den
Formalismus entziehen (Vollst=E4ndigkeit). Und drittens, da=DF die
Entscheidbarkeit =FCber die Existenz (oder Wahrheit im oben beschriebenen
Sinne) oder Nichtexistenz eines Satzes in endlich vielen Schritten m=F6glich
sein sollte (Entscheidbarkeit). Anders ausgedr=FCckt: Gibt es ein effektives
Verfahren, einen Algorithmus, mit dem man f=FCr jede beliebige Formel in
endlich vielen Schritten entscheiden kann, ob sie ableitbar ist oder nicht?

1931 zeigte Kurt G=F6del, da=DF zumindest aus dem zweiten Punkt in Hilberts
Programm nichts werden w=FCrde. Er wies nach, da=DF in jedem formalen=
System,
das widerspruchsfrei sein soll, Aussagen existieren, die innerhalb des
Systems nicht begr=FCndet werden k=F6nnen. Das bedeutet, da=DF formale
Beweisbarkeit ein schw=E4cheres Kriterium ist als Wahrheit.

Das Entscheidungsproblem

1936 bewies der englische Mathematiker Alan M. Turing, da=DF es kein
allgemeines Verfahren f=FCr die Entscheidbarkeit im Hilbertschen Sinne gibt=
-
damit fiel auch der dritte Punkt in Hilberts Programm. In seinem ber=FChmt
gewordenen Beweis behauptet Turing zun=E4chst, da=DF die Berechenbarkeit
beispielsweise einer Zahl identisch sei mit der Aussage, da=DF eine=
geeeignete
Maschine in der Lage ist, sie niederzuschreiben: Wenn eine Mathematikerin
einen Beweis f=FChrt, schreibt und l=F6scht sie Zeichen nach einem=
vorgegebenem
Katalog von Regeln, sie wendet formale (for male?) Regeln auf semantische
Kombinationen von mathematischen Zeichen an. Sie handelt mechanisch. Was bei
Hilbert "Verfahren" (zum Beweis der Entscheidbarkeit) genannt wurde, hat
Turing umdefiniert in "berechenbar durch eine Maschine". Turings
Formulierung des Entscheidungsproblems lautet: "Gibt es eine Maschine, die
f=FCr jede x-beliebige Maschine (eingeschlossen sie selbst) entscheiden=
kann,
ob sie zu einem Ergebnis gelangt oder nicht?"

Wie sieht Turings Maschine aus? Zun=E4chst mal ist sie eine theoretische
Maschine, die einen Algorithmus verk=F6rpert, d.h. sie ist technischen
Realisierungen gegen=FCber indifferent. Das Verhalten der Maschine ist auf
einige wenige Operationen beschr=E4nkt: Einlesen von Zeichen, Zeichen=
l=F6schen
bzw. =FCberschreiben, Bewegung nach rechts, Bewegung nach links, Anhalten.

Turings Maschine

Turing hat nun mit dieser theoretischen Maschine gezeigt, da=DF das
Halteproblem, also die Frage, ob eine Turingmaschine =FCber eine andere
Turingmaschine aussagen kann, ob sie bei der Berechnung bestimmter Probleme
jemals anhalten wird oder nicht, nicht l=F6sbar ist - es also keine solche
Maschine geben kann. Damit ist auch die Frage Hilberts nach der Existenz
eines allgemeinen Entscheidungsverfahrens negativ beantwortet: Es ist
nachweisbar unm=F6glich, einen Entscheidungsalgorithmus daf=FCr anzugeben,=
ob
eine beliebige Formel beweisbar ist oder nicht.

Turings Beweis hat Ber=FChmtheit erlangt weit =FCber die Mathematik hinaus.=
Das
liegt nicht so sehr an seinem Beweis selbst, sondern an der Voraussetzung,
die er zun=E4chst bewies: Jede Operation im Rahmen eines formalen Systems=
ist
auf einer Maschine simulierbar. Formalisierung und Mechanisierung sind nach
Turing bedeutungs=E4quivalente Begriffe. Mathematik wird als maschinelle,
automatisierte Symbolverarbeitung angesehen, nicht mehr als Kunst oder
Handwerk: "Any function which can be calculated by a human can be computed
by a Turing machine" (Turingthese).

Turingdenken

Formalisierung, regelgeleitetes Handeln oder das Befolgen abstrakter Regeln
sind Schlagw=F6rter, die eher aus einem anderen Zusammenhang bekannt sind.=
Die
Klassiker der Soziologie beschreiben den Modernisierungsproze=DF in der
b=FCrgerlichen Gesellschaft, die Herausbildung moderner Warensubjektivit=E4t=
,
mit diesen Begriffen. Die Herausbildung einer rationalen, abstrakten
Denkweise, die Trennung zwischen objektiver und subjektiver Rationalit=E4t,
Gleichbehandlung ohne Ansehen der Person oder des Standes sind
Charakteristika der Moderne =FCberhaupt. Rationalisierung und=
Differenzierung,
Entpersonalisierung sozialer Beziehungen, Zweck-Mittel-Kalk=FCl, Tendenz zu
Abstraktion und Quantifizierung, Formalisierung von Handlungen, Wunsch nach
Berechenbarkeit und Kontrolle - Hilberts Programm wurde in allen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens durchgef=FChrt.

"Turingdenken", regelgeleitetes, logisches, von Vorbedingungen in genau
bestimmter Weise abh=E4ngiges Schlie=DFen, das ist die von Max Weber f=FCr=
die
Moderne als charakteristisch angesehene Denkweise! Die F=E4higkeit des
B=FCrokraten, abstrakten Regeln zu folgen, die roboterhafte T=E4tigkeit des
Richters (Max Weber) ist Idealbild des "Prozesses (Franz Kafka) der
Zivilisation" (Norbert Elias).

Turing und Taylor

Nicht nur in der Soziologie waren Formalisierung und Mechanisierung g=E4ngig=
e
Schlagworte. In den fordistischen 30er Jahren beherrschten diese Vokabeln
den Diskurs der Herren der Produktion. Frederick W. Taylor hatte die
Funktion des Fabrikarbeiters in Einzeloperationen zerlegt, ihn einer ins
Detail gehenden mechanischen Disziplin unterworfen, alles =DCberfl=FCssige=
und
Unvorhersehbare getilgt und ihn damit der Maschine gleichgemacht. Diese
detaillierte Arbeitsteilung bis hin zur Zergliederung der Arbeitsabl=E4ufe
=E4hnelt der Sequenzialisierung der Algorithmen in Turings Maschine. Bei=
Henry
Ford wird dann die ganze Fabrik zu einer Maschinerie, eingeschlossen die
Fordarbeiter. 1936 ist das Jahr in dem "Moderne Zeiten" von Charles Chaplin
in die Kinos kommt. Fords Flei=DF(!)band, Taylors Mechanisierung des
Arbeiterk=F6rpers, die REFA etc. setzten Turings These der Identit=E4t von
regelhaftem und mechanischem Handeln ein weltumspannendes Denkmal. F=FCr den
Bereich der kapitalistischen Industrieproduktion liefern sie den Beweis f=FC=
r
die Austauschbarkeit menschlichen formalen Handelns durch maschinelles
formales Handeln.

Dem Mathematiker Emil Post war es zur gleichen Zeit wie Turing gelungen, das
Entscheidungsproblem mit einem mechanischen Ansatz zu l=F6sen. Argumentation
und Schlu=DFfolgerungen sind weitgehend deckungsgleich, mit dem einen
Unterschied allerdings, da=DF Post als Ausf=FChrende in seinem mechanischen
Beweisverfahren hypothetische Flie=DFbandarbeiter dienten. An das Verhalten
der Flie=DFbandberechner in seinem Modell stellte er exakt die gleichen
Anforderungen wie Turing sie f=FCr seine Maschine formuliert hatte. Aus dem
Vergleich der beiden Arbeiten folgt, da=DF zwischen einer Turing-Maschine=
und
einem Flie=DFbandarbeiter oder einer Flie=DFbandarbeiterin in Bezug auf ihre
T=E4tigkeit keinerlei Unterschied besteht.

Die These von Marx, der Mensch h=F6re in der kapitalistischen gro=DFen=
Industrie
auf, Mensch zu sein, er werde blo=DFes Anh=E4ngsel der Maschine, wird durch
Turing und Post radikalisiert: Es besteht kein Unterschied zwischen ihnen.
Der Mensch wird zu einer Maschine unter Maschinen. "A man provided with
paper, pencil, and rubber, and subject to strict discipline, is in effect an
universal machine" (Alan M. Turing).

Automatische Moderne

Turings Ausgangspunkt war die Frage, was Menschen tun, wenn sie Beweise
f=FChren, regelgeleitet handeln. Er hat gezeigt, da=DF Denken =FCberhaupt,=
nicht
blo=DF Rechnen, als formaler Proze=DF beschrieben werden kann, als
regelgeleitete und schrittweise Umbildung von Symbolen. Nicht nur die Arbeit
am Flie=DFband, sondern regelgeleitetes, logisch vern=FCnftiges oder, anders
ausgedr=FCckt, algorithmisches Handeln =FCberhaupt ist mechanisch.

Wenn man sich's recht =FCberlegt, verhalten wir uns die meiste Zeit des=
Tages
wie Maschinen. St=E4ndig sind wir damit besch=E4ftigt, Algorithmen zu
komputieren, Listen von Vorschriften abzuarbeiten. Das kommt uns nur dann
l=E4cherlich vor oder unsinnig, wenn wir den Algorithmus nicht decodieren
k=F6nnen, also den Sinn nicht verstehen. Beobachtet z.B. jemand, die nicht=
mit
den Gepflogenheiten des motorisierten Individualverkehrs und dem
begleitenden Regelwerk StVO vertraut ist, einen Verkehrspolizisten, der den
Verkehr auf einer Kreuzung regelt, mu=DF sie dessen Verhalten als
Slapsticknummer einsch=E4tzen. 'Sinnvoll' erscheint uns dieses Verhalten=
nur,
wenn wir zu den Eingeweihten z=E4hlen, die Einblick in den Regelapparat=
haben.
Die Arbeit geht uns gleich leichter von der Hand, wenn wir einen Sinn darin
sehen, wenn wir wissen, was hinten herauskommt. Mechanisches Handeln als
sinnvolles Handeln zu bezeichen ist blo=DF besch=F6nigende Umschreibung.=
Sinn
ist der Begriff f=FCr das - wenn man so will - notwendig falsche Bewu=DFtsei=
n
derjenigen, die sich mechanisch verhalten: "Immer 'rin, mein Junge, das hat
'n' Sinn, mein Junge!" (Bertolt Brecht, Ballade von den S=E4ckeschmei=DFern)

Turing hat die allgemeinen Kriterien gefunden, mit denen die
Mechanisierbarkeit und Automatisierbarkeit des Denkens, des Berechnens, der
Produktion, ja unseres gesamten formalisierten Alltags entschieden werden
k=F6nnen. Die Diskussion, ob dieser oder jener Ablauf in der Produktion,=
diese
oder jene Steuerungsfunktion, dieser oder jener Denkvorgang von Maschinen
erledigt werden k=F6nnen oder nicht, ist somit obsolet geworden: Sind=
Turings
Kriterien erf=FCllt, ist das der Fall.

Automatisierung

Da=DF diese Einsicht gerade jetzt eine Renaissance erlebt, hat sicherlich
damit zu tun, da=DF Produktion immer mehr identisch wird mit Berechnung.
Produktion wird zu Programmieren. Software wird zur Hauptproduktivkraft.
Rechenmaschinen sind Massenprodukte geworden. Jede kann sich f=FCr wenig=
Geld
Rechenkapazit=E4t auf den Tisch stellen, die alles =FCbertrifft, was in den=
50er
Jahren weltweit verf=FCgbar war. Die F=E4higkeiten der Rechenknechte=
besch=E4men
die klassischen Arbeitert=E4tigkeiten zusehends.

Da=DF es heutigen Automaten vor allem an motorischen und perzeptiven
F=E4higkeiten mangelt, liegt zum einen - Hans Moravec zufolge - an den
Jahrmillionen Evolutionsvorsprung der Gattung Mensch. Au=DFerdem ist
Robotertechnik eine v=F6llig vernachl=E4ssigte Forschungsrichtung, weil sie
=E4hnlich wie die Solartechnologie die =DCberfl=FCssigmachung geronnener
Arbeitszeit sprunghaft vorantreiben w=FCrde. Der 'Horror' des Kapitals vor=
der
menschenleeren Fabrik und vor der Verf=FCgbarkeit kostenloser=
Energiequellen,
liegt darin begr=FCndet, da=DF damit jede Mehrwertproduktion verunm=F6glicht
w=FCrde.

Postkapitalistische Moderne

=DCber die l=F6sbaren Aufgaben ist genug geredet worden! Sie k=F6nnen und=
werden
fr=FCher oder sp=E4ter von Maschinen gel=F6st und prozessiert werden, sobald=
sie
als l=F6sbare =3D formulierbare =3D formalisierbare Probleme erkannt sind=
und die
gesellschaftlichen Schranken einer Automatisierung der Modernisierung
beseitigt sind. Die Sedimentierung der Technologie der Moderne als
automatische Moderne, f=FChrt dann - untergegangenen Kulturen und Naturen
gleich - zur 'technologischen Humusbildung', die die reproduktive Grundlage
einer neuen Gesellschaft bilden kann.

Was bei Marx mit der Formel vom produktiven M=FC=DFiggang ausgedr=FCckt ist,=
mu=DF
angesichts der Entwicklungen globaler Vernetzung dechiffriert werden als
Bet=E4tigung des Menschen in einem weltweiten Netzwerk von sozialen und
technischen Beziehungen. Das Steuern des weltweit agierenden technologischen
Apparats zur Bed=FCrfnisbefriedigung und das gemeinsame Organisieren der
Weltproduktion ist in diesem Bild die Art und Weise, wie sich die Menschen
zur Technologie verhalten werden. Dazu kommt der bei weitem gr=F6=DFere=
Bereich
der menschlichen Beziehungen, die heute notd=FCrftig mit dem Adjektiv privat
bezeichnet werden m=FCssen.

Natur II

Die Auseinandersetzung um die Frage, wie die moderne (industrielle)
Technologie sich zur Gesellschaft verh=E4lt, in der sie existiert, und was=
aus
dieser Technologie werden wird, wenn der gesellschaftliche Rahmen sich
=E4ndert, ist schon sehr alt. Der Streit zwischen Technikeuphorikern oder
Technokratinnenen, die Technik f=FCr abstrakte =FCberhistorische
Errungenschaften der menschlichen Gattung halten und Technikkritikern bzw.
antimodernen Naturfetischisten wird dem Gegenstand nicht gerecht. Die
moderne Technik (Technik der Moderne) wird nicht einfach weiterverwendet
werden oder "humaner gestaltet" und auch nicht abgeschafft werden, sondern
sie wird zu einer Selbstverst=E4ndlichkeit werden. Sie wird automatisch um=
uns
herum "arbeiten", sie wird zu einer Art Natur, wie die Luft, die wir atmen.
Die Moderne sedimentiert und wird zum Untergrund, auf dem die nachmodernen
Individuen barfu=DF gehen k=F6nnen.

Der Naturbegriff der b=FCrgerlichen Gesellschaft ist oft kritisiert worden.
Da=DF der Schwarzwald beispielsweise eine ausgesprochene Kulturlandschaft
neueren Datums ist und da=DF der "Ausflug ins Gr=FCne" nicht weniger eine
kulturelle Veranstaltung ist, als ein Kinobesuch, ist schon oft gesagt
worden. Was vor Jahrhunderten als Kulturleistung bewundert wurde, n=E4mlich
die Urbarmachung ganzer Landstriche f=FCr die Erfordernisse der
Landwirtschaft, das ist heute schon l=E4ngst sedimentiert und zu Natur,
Landschaft, Naherholungsgebiet geworden. Dieser Gew=F6hnungseffekt an
technologische oder Kulturleistungen wird sich auch weiterhin fortsetzen.
Automatische Lebensmittelproduktion wird genauso zur "nat=FCrlichen"
Selbstverst=E4ndlichkeit werden, wie evolutonierende technische Dispositive.
Damit ist kein Neuaufgu=DF der These von den "guten" sozialistischen
Kernenergieanlagen beabsichtigt. Was produziert wird und wie, wird gerade
Gegenstand der Reflexion der vernetzten Individuen sein, die endlich Zeit
haben werden, praktische Technologiekritik zu betreiben.

Nicht-Turingdenken

Doch nun zur=FCck zu Turings eigentlichem Ergebnis, dem Beweis, da=DF es=
kein
allgemeines Entscheidungsverfahren gibt. Es gibt nicht f=FCr jedes Problem=
ein
Verfahren zur Feststellung der Beweisbarkeit. Dem Projekt des vollst=E4ndig
selbstbez=FCglichen und selbstgen=FCgsamen mathematischen Formalismus sind=
damit
seine Grenzen aufgezeigt. Aber die au=DFermathematischen Folgen von Turings
Beweis sind noch viel einschneidender. Wenn es Verhaltensweisen und
Denkweisen gibt, die nicht in Regeln gegossen werden k=F6nnen, wenn nicht
jedes Verhalten und jeder Gedankenvorgang analysiert, formalisiert und
algorithmisiert werden kann, was f=FCr ein Denken und Verhalten ist das=
dann?
Wie sieht dieses andere Denken /andere Verhalten aus?

Turing hat ein Verfahren gefunden, mechanisches Denken und Verhalten von
nicht mechanischem Denken, mit Algorithmen l=F6sbare Aufgaben von unl=F6sbar=
en
Aufgaben, redundantes (rationales) Denken und Verhalten von kreativem,
nichtlinearem, unlogischem Denken und Verhalten zu unterscheiden. Turing
trennt das Reich von Regel, Sinn und Verstand ab vom Irregul=E4ren, dem
Unsinn, dem Amusement. Schon unser heutiges Denken enh=E4lt viele Aspekte,=
die
aus der Formalisierbarkeit herausfallen.

Programmieren

Programmieren als T=E4tigkeit geh=F6rt nach allem bisher Gesagten unbedingt=
zum
Turing-Denken. Es ist wie das Durchf=FChren mathematischer Beweise eine rein
mechanische, von abstrakten Regeln geleitete Besch=E4ftigung. Es ist
allerdings so, da=DF es -- und das ist eine Grunderkenntnis der Informatik -
keinen Algorithmus gibt, der die Korrektheit eines Computerprogramms
feststellen k=F6nnte. Um die Richtigkeit und Konsistenz eines
Computerprogramms festzustellen, mu=DF gezeigt werden, da=DF es in endlicher
Zeit anh=E4lt (hier taucht das Halteproblem wieder auf!). Programmieren mu=
=DF
stets einer nicht formalisierbaren =DCberpr=FCfungspraxis unterworfen=
werden.
Genau an dieser Stelle f=E4llt Programmieren aus dem Turingdenken heraus.
Vil=E9m Flusser hat die These aufgestellt, da=DF sich der=
postkapitalistische
Mensch im Wesentlichen mit Programmieren besch=E4ftigen wird. Vernetztes,
interaktives Programmieren ist f=FCr Flusser das genaue Gegenteil der von=
ihm
f=FCr das industrielle Zeitalter als charakteristisch angesehenen
"typisierenden" T=E4tigkeit. Es macht keinen Sinn, zweimal das gleiche
Programm zu schreiben, anders als beim Herstellen eines Autos, bei dem
gerade das Identischsein, das Typische das Ziel der Produktion ist: Ein
einmal geschriebenes Programm mu=DF niemals mehr geschrieben werden.


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