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Subject: Innenstadtaktion: Gegen die Grenzziehung nach Innen
From: pit <pit@icf.de>
Date: Sun, 22 Jun 1997 21:03:19 METDST


* * * * *


[INNENSTADTAKTION is a coalition for action against the privatization
of public spaces, against a restrictive politics in inner-city areas
concerning so called security for the citizens and consumers, and
therefore expelling migrants, homeless people and people without
papers. With several experimental forms of demonstrating and
forming a critical public these groups are currently working in several cities
like Berlin, Bremen, Frankfurt, Kassel, Stuttgart, Wien, Zuerich..
more info on current events: http://www.icf.de/b_books/innercity
mailinglist: http://www.icf.de/b_books/innercity/mlinfo.html
-heike, pit]

Subject: INNENSTADTAKTION: 1.Aufruf, 12/1996
http://www.icf.de/b_books/innercity/aufruf.html


Innenstadtaktion

1.Aufruf

1. Fassung/Berlin - Gegen die Grenzziehung nach Innen
Aufruf zur Vorbereitung ueberregionaler Innen-Stadt-Aktionen im Fruehjahr 97

Singularisierung, Ausgrenzung, Stigmatisierung und Kriminalisierung von
DrogenuserInnen, MigrantInnen, Obdachlosen, Wagenburg-BewohnerInnen und die
gewalttaetige Vertreibung dieser Menschen aus den Innenstaedten kennzeichnen
die kommunale Standortpolitik in nahezu jeder groesseren Stadt Westeuropas.
Hier ueberschneiden und verdichten sich Konflikte um die Zurichtung der
Staedte auf gehobenen Konsum, spekulative Privatisierung von oeffentlichem
Raum, verschaerfte Sicherheitspolitik, Drogenhysterie und Rassismus. Ende
Oktober haben sich im Rahmen der Veranstaltung >minus96> Gruppen aus
mehreren Staedten der BRD, der Schweiz und Oesterreich in Berlin getroffen,
um die Idee staedteuebergreifender Aktionen gegen Repression, Privatisierung
und Kommerzialisierung in den Innenstadtbereichen im Fruehjahr 97 zu
diskutieren.

Durch zeitlich gebuendelte Aktionen in moeglichst vielen Staedten soll
versucht werden,

* den Konsens zu stoeren, dass innerstaedtische Raeume nur mehr einer
>qualifizierten Oeffentlichkeit> (Deutsche Bahn AG) zugaenglich sein
sollen. Dass Geschaeftsleute mit Hilfe von Polizei und privaten
Diensten bestimmen, wer sich vor ihren Ladenzonen und in den Quartieren
aufhalten darf, bleibt oeffentlich unwidersprochen. Wir wollen die
schweigende Mehrheit zur Stellungnahme provozieren und zwingen, nicht
einfach wegzuschauen.
* Ausgrenzung und Aufsplitterung aufzuheben, indem sich ueber die
Aktionen Leute treffen, welche sonst individualisiert Repressionen
erfahren. Auch sollen diejenigen angesprochen werden, fuer die es nicht
selbstverstaendlich ist, dass Razzien, Misshandlungen und
einschuechternde Praesenz von Polizei und Sicherheitsdiensten zur neuen
staedtischen Realitaet gehoeren.
* den Anstoss zu geben fuer weitergehende Diskussionen und fuer einen
sowohl lokalen wie ueberregionalen und kontinuierlichen Widerstand bzw.
dessen Sichtbarkeit/Spuerbarkeit zu sorgen.

Wie sich in den Vordiskussionen gezeigt hat, unterscheiden sich die je
spezifischen Vertreibungsformen und hierfuer von der Politik bzw. Gewerbe
ausgemachten Personengruppen, so dass von einer falschen Generalisierung
Abstand genommen werden sollte. Die Interessen am oeffentlichen Raum sind
nicht fuer alle gleich, auch nicht fuer diejenigen, die die Einschraenkungen
des Zugangs durch die erniedrigende Vertreibung und die Schikanen direkt
erfahren. Die Vorbereitung und Durchfuehrung der lokalen Aktionen soll daher
bewusst so offen wie moeglich gehalten werden. Zugleich sollten die
strukturell aehnlichen Innenstadt-Konflikte durch eine (mediale)
Verknuepfung oeffentlich miteinander in Beziehung gesetzt werden, um so das
Thema stark zu machen und den Widerstand zu buendeln.

Das Interesse, die Aktionen moeglichst breit - sowohl vom
sozialen/politischen Spektrum als auch raeumlich in sovielen Staedten wie
moeglich - anzulegen, heisst dann eben auch, dass sich nicht alle
beteiligten Gruppen aus allen Staedten auf eine einheitliche Plattform
einigen muessen, sondern erst mal auf einen inhaltlichen Rahmen, nicht alle
einzelnen Aktionen von allen entschieden und mitgeplant werden muessen,
sondern dezentral und in der Verantwortung von einzelnen Gruppen liegen
sollen.

Das gilt dann auch fuer die einzelnen Staedte, d.h. es wird Koordinations-
und Vorbereitungstreffen geben, die einzelnen Aktionen sollen aber
eigenverantwortlich von beteiligten Gruppen organisiert und durchgefuehrt
werden.

Geplant ist, im Juni 1997 Aktionstage/wochen durchzufuehren. Das naechste
ueberregionale Koordinationstreffen findet am 11. und 12. Januar 97 in
Frankfurt/ Main statt.

Fuer Diskussionen, Austausch von Ideen und Papieren wird vorab eine
e-Mailing-List eingerichtet. Damit diese moeglichst als Forum funktioniert,
sollten moeglichst viele sich anschliessen, d.h. ihre e-mail-Adresse angeben
oder eine besorgen.
Kontakt und Unterstuetzung Katya Eydel, Florian Zeyfang.
In jedem Fall sollten sich in den einzelnen Staedten Leute bereiterklaeren,
Ausdrucke aller Mails zugaenglich zu machen, zum lesen und kopieren fuer
alle diejenigen, die nicht vernetzt sind.

In Berlin trifft sich eine Vorbereitungsgruppe bis auf weiteres Mittwochs um
20 Uhr bei der Antirassistischen Initiative, Yorckstr. 59, HH 3.Stock, Tel.
030.7857281

Wir gehen davon aus, dass sich die Hintergruende fuer die
Vertreibungspolitik an folgenden Aspekten festmachen lassen:

* Vereinigungen von privaten Geschaeftsleuten unternehmen seit einiger
Zeit verschaerftere Vorstoesse, die Innenstaedte gemaess ihren
Interessen zu vereinnahmen und zu gestalten.
>Staedte sind Staetten der Begegnung. Die ECE moechte mit ihren
Shopping-Centern Orte schaffen, die Menschen zum Bummeln und Verweilen
einladen. Lebendige Marktplaetze, mit buntem Treiben in einer
ansprechenden Atmosphaere. Eingerahmt von einer eleganten Architektur,
die sich auch unter staedteplanerischen Gesichtspunkten harmonisch in
das Umfeld einfuegt.> Heinrich Kraft, Vorsitzender der
Geschaeftsfuehrung ECE Projektmanagement GmbH
>Als kleine >Stadt in der Stadt> mit dem Center-Manager als
>Buergermeister> ist das Center stets bemueht, seinen >Buergern> Neues
zu bieten... Aussergewoehnliche Veranstaltungen sichern Sympathie...
Das Ganze hell, sicher und sauber - ein ideales Umfeld fuer Shopping,
wie es sein soll und wie es der Besucher mag.>>Das Einkaufs-Center -
ein lebendiger Marktplatz> ECE Projektmanagement GmbH.
In diesem Konzept stoeren ausgemachte Personengruppen, welche an diesem
Konsum nicht teilnehmen koennen oder wollen. Visuelle Kohaerenz
(Vereinheitlichung des Erscheinungsbilds), raeumliche Kontrolle und
privates Management - so wie man es in Bahnhoefen und Passagen,
Kaufhaeusern, Malls und Freizeitparks kennengelernt hat - werden
nunmehr von >privaten> auf >oeffentliche> Zonen uebertragen.

* Die Verwaltung des oeffentlichen Raums erfolgt nicht allein durch
Architektur und Staedtebau, sondern ebenso durch Ordnungspolitik:
Kommunen und der Staat lassen sich in dieses Konzept einbinden und
leisten durch Gesetzgebung und Repression den Privatinteressen Folge.
* Hier besteht weiterhin ein propagandistisches Motiv: Mit martialischen
Einsaetzen gegen MigrantInnen, Obdachlosen und DrogenuserInnen soll
oeffentlich demonstriert werden, dass es einen polizeilichen
Handlungsbedarf gegen Menschen gibt, deren stereotype Feindbilder von
staatlicher Seite her erst produziert wurden. >Zerschlagung> von
Drogenszenen, Razzien bei MigrantInnen (erst VietnamesInnen, dann
Huetchenspieler, nun alle, die einem ethnisierenden Blick der Polizei
als >nichtdeutschstaemmig> erscheinen), Aussetzung von Obdachlosen am
Stadtrand, Aussperrung von Personen, die einer Verhaltensnorm nicht
entsprechen (Punks, Wagenburgen, HausbesetzerInnen).

Ein Sprecher des Innensenats begruendet die Aktionen am Breitscheidplatz mit
der >repraesentativen Lage>; aehnlich ist es am Hermann- und Alexanderplatz
wie in und vor den Bahnhoefen. Der Breitscheidplatz neben der kuenstlich
konservierten Kriegsruine >Gedaechtniskirche> - ein Tourismusmagnet - ist
einer von 25 polizeilich ausgewiesenen, aber geheimgehaltenen >gefaehrlichen
Zonen> aufgrund des >Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz> (ASOG),
welches saemtliche Persoenlichkeitsrechte ausser Kraft setzt. So kann die
Polizei ohne Anfangsverdacht Personen- und Passkontrollen durchfuehren und
ohne Hausdurchsuchungsbefehl in Wohnungen eindringen - im Bezirk
Friedrichshain stand dies im Umfeld besetzter Haeuser als Drohmassnahme zur
Debatte. Diese (wechselnden) Bereiche sind Teil einer Mobilmachung, wobei
flexibel und >just in time> Bannzonen installiert werden koennen.

Auf dem Breitscheidplatz faehrt seit dem 21. August 96 nahezu taeglich - und
bis zu fuenfmal am Tag - die Polizei vor, greift sich bevorzugt
dunkelhaeutige Menschen heraus, fuehrt Personen- und Passkontrollen durch,
transportiert sie in Handschellen ab und behandelt sie erkennungsdienstlich:

>Die Razzien stellen ein gezieltes und gewolltes rassistisches Vorgehen der
Polizei gegen hier lebende ImmigrantInnengruppen und auch gegen obdachlose
Menschen und andere Minderheiten dar. Die ausfuehrenden Polizeiorgane
verfahren hierbei gemaess des rassistischen Stereotyps >Auslaender =
Drogendealer> und praegen durch derartige Razzien in der Oeffentlichkeit die
Wahrnehmung und Verfestigung dieses Stereotyps, das von den verantwortlichen
Innenpolitikern des Landes und Bundes produziert und von weiten Teilen der
Medien reproduziert wird.> (Antirassistische Initiative)

Waehrend Lifestyle-Medien die aktuellen Verhaltens- und Bekleidungs-Standard
liefern, wiederholen mediale Kampagnen, was die Innenpolitik in
Bedrohungsszenarien als gefaehrliche Gruppen und gefaehrliche Orte
ausgemacht hat. Hierbei hatte die rassistisch geleitete
Kriminalisierungsaktionen der Politik gegen VietnamesInnen mittels
Mafiageruechte, Plakatserie des Bundeswirtschaftsministeriums, Nichtahndung
von polizeilichen Uebergriffen und Bestechung der Volksrepublik Vietnam
zwecks Abschiebung Vorreiterfunktion.

* Razzien werden gegen MigrantInnen und Illegalisierte durchgefuehrt, um
einzuschuechtern, zu isolieren und abzuschieben. Die Angst vor
Repressionen soll politisches Handeln und Organisierung der Betroffenen
verunmoeglichen. Unsere Aktionen richten sich gegen Senat und Bullen,
gegen den rassistischen Konsens der Bevoelkerung sowie gegen die
Konsumzurichtung von Seiten der Geschaeftsleute, die den oeffentlichen
Raum ihren Interessen gemaess privatisieren wollen. Die Verengung der
Diskussion auf >Innere Sicherheit>, >polizeiliche Loesungen> und
>hauptstaedtische Sauberkeit> schliesst soziale und politische Ansaetze
aus und muss durch geeignete Aktionen aufgebrochen werden.

Erste Ideen fuer Aktionen...

->Besuche> von Nobelrestaurants und Einkaufszonen, >Gespraeche> mit
Geschaeftsleitungen
- Infostaende/Kundgebungen an >gefaehrlichen Orten> (siehe Breitscheidplatz
Berlin)
- Ideenwettbewerb >Squatch the City> zu Aneigungsformen von oeffentlichem
Raum (Plakatieren, Graffitis, Besetzungen, Schattenwirtschaft...)
- Strassenaktionen, Agit-Pop-Konzerte im oeffentlichen Nahverkehr und in
Bahnhoefen (siehe Aktionen des Clubs der Verdraengten Sommer 94)
- A-clips: bundesweite Projektion kurzer Kinospots zwischen Werbung und
Hauptfilm, welche Aspekte der Ausgrenzungspolitik thematisieren.
Redaktionswochen im Februar 97
- Plakate, Flugis, die auf die Ausgrenzungsprozesse, die Hintergruende und
Verantwortlichen hinweisen, die man an den zentralen Stellen
plakatieren/verteilen koennte
- Aktion gegen die Ausstellung >Renaissance der Bahnhoefe>
(Bundesverkehrsministerium, Deutsche Bahn AG, Architekten), welche im Januar
im Berliner Architekturzentrum (DAZ) gezeigt werden soll
- breite Medienkampagne (Versuch, das Thema moeglichst breit, zeitlich
koordiniert rauszubringen - einerseits in Szene-Publikationen, ZAG, Beute,
Arranca, AK, Spex, Spezial, Bahamas, Off limits, ... sowie div.
Tageszeitungen)
- Diskussions-Veranstaltungen, Ausstellungen
- Erstellung einer Dokumentation zur Innenstadt-Situation