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Subject: [innercity] Schutzraeume gegen Ungeschuetzte
From: nobody@REPLAY.COM (Anonymous, by way of Pit Schultz <pit@icf.de>)
Date: 27 Jun 1997 14:05:40 +0200


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Schutzraeume gegen Ungeschuetzte

Mit Differenz-Urbanismus auf globalem Komfort Niveau absichern - so machen
es die neuen Metropolen.

Eine Strukturbetrachtung von Klaus Ronneberger


Die oekonomische und soziale Realitaet in den Metropolen veraendert sih
gegenwaertig grundlegend. Die Ansprueche des finanzindustriellen Komplexes
und einer internationalen business class bestimmen zentrale Bereiche der
Staedte. Andererseits stellen die Metropolen nicht mehr die Zentren des
Arbeitsplatzwachstums dar.
Damit verschaerft sich die Rivalitaet zwischen den Metropolen, die
miteinander um Wachstumspoltentiale und Prosperitaet konkurrieren. Der Kampf
um Kapital- und Kundenstroeme veranlasst das staedtische Management zu
aufwendigen Eingriffen in die bestehende Raumstruktur. Dazu gehoeren die
bauliche Aufwertung von Stadtvierteln, die Umwandlung altindustrieller
Gewerbeflaechen und Festivalisierungsprojekte wie Messen oder
Weltausstellungen.

Mythen des Staedtischen

Mit der verschaerften Staedtekonkurrenz nimmt auch die Bedeutung von
Imagestrategien zu. Bilder, Erzaehlungen und Visionen konstituieren das
Urbane als imaginaeres Objekt und halten so den fragmentierten Raum
zusammen. Diese 'Mythen des Staedischen' entwerfen ein Bild von der Stadt
als kohaerente Einheit, das die unterschiedlichen Praxisformen der
Individuen und Kollektive synthetisiert und zugleich formiert.
Der Mythos der "Dienstleistungsmetropole" erfuellte im letzten Jahrzehnt
eine solche Funktion. Im Bild der "postindustriellen Stadt" vereinheitlicht
er den Umbruch der Produktions- und Konsumptionsweisen. Die
"Weisskragen-Oekonomie" verspricht Prosperitaet und die Zunahme gut
ausgebildeter und einkommensstarker Arbeitskraefte. Zugleich entwickelt sich
mit dem Niedergang der Industrie und der Expansion des finanzindustriellen
Komplexes in den Metropolen der "quartaere" Sektor -- die Verbindung von
Dienstleistung, neuen Technologien und Kulturproduktion. Das Wachstum der
"symbolischen Oekonomie" im Finanz-, Medien- und Unterhaltungsbereich
veranlasst das staedtische Management, verstaerkt auf den Ausbau der
kulturellen Konsumption und der dazugehoerigen Industrie zu setzen.
Die Imagestrategie der postfordistishcen Urbanisierung operiert vor allem
mit zwei scheinbar widerspruechlichen Elementen: der Betonung von
Unterschiedlichkeit (gegenueber anderen Staedten) und der Garantie
raeumlicher Homogenitaet. Einerseits sollen die hochentwickelten Archipele
der Stadt, Buerotuerme, Kaufhaeuser, Erholungszentren, Waterfronts - ihre
Unverwechselbarkeit und eine attraktive urbane Lebensweise belegen.
Andererseits werden diese Orte an internationale Standatds von Luxus und
Entspannung angeglichen und damit tendenziell austauschbar. Die
"Dienstleistungsmetropole" offeriert den staedtischen Raum als exklusives
Angebot: einzelne Produkte bzw. Konsumtionsstaetten buergen hier fuer die
Qualitaet des Ganzen. Raeume, die zwischen diesen Archipelen liegen -- etwa
altindustrielle Gewerbegebiete oder Wohnquartiere der subalternen Klassen
--, werde dagegen vernachlaessigt oder sich selbst ueberlassen.
Fuer die mobilen Kapital- und Informationsstroeme erweist sich der homogene
Raum der fordistischen Stad, der ueber die funktionale Trennung von
Arbeiten, Wohnen und Verkehr zusammengehaltenwurde, als Hindernis. Das neue
Netz der privilegierten Knotenpunkte legt sich ueber die tradierten
Raumstrukturen und reisst das grossraeumige Funktionsraster auseinander.
Waehrend der Fordismus eine "Gleichheit im Raum" anstrebte, beutet der
Postfordismus die Unterschiedlichkeit von Orten und Territorien als
Ressource des kapitalistischen Verwertungsprozesses aus.

Kontrollierte Lebensraeume

Vor allem seit den 80er Jahren reproduziert sich der Kapitalismus verstaerkt
durch die "Produktion des Raumes". Banken, Versicherungsfonds und
transnationale Konzerne legen einen Teil ihres ueberschuessigen Kapitals in
global gestreuten Immobilienbesitz an und nutzen die Grundstuecksmaerkte als
reine Finanzanlage. Die Kernstaedte werden zu Konsum- und Erlebnisraeumen
geformt. In den Metropolen etabliert sich mit den Malls und Themenparks ein
neuer Raumtypus.
Solche Archipele eines kontrollierten staedtischen Erlebens versuchen die
Atmosphaere und das Image eines traditionellen Stadtplatzes zu erzeugen, der
gemeinhin mit Kommunikation, Oeffentlichkeit und Spektakel gleichgesetzt
wird. Diese Einrichtungen sind mit aufwendigen Sicherheitssystemen versehen:
durh Raumplanung, Architektur und Technopraevention werden unerwuenschte
Personen und unerwuenschte Ereignisse ferngehalten. Raeumliche Kontrolle und
privates Management lassen die Malls als Idealtypen eines neuen
oeffentlichen Raumes erscheinen, der der Mittelklasse-Norm entspricht.
Dieses Urbanisierungsmodell fungiert gegenwaertig als Vorbild fuer die
gesamte Stadtentwicklung. So nimmt die Bereitschaft der staedtischen
Behoerden zu, Bereiche des oeffentlichen Raums in einer Weise zu
organisieren, wie sie fuer Themenparks und Malls typisch ist. Da die neue
staedtische Armut der Vorstellung einer relaxten Konsumathmosphaere
entgegensteht, sollen deshalb die verschiedenen Submilieus aus diesen
Raeumen vertrieben werden. Die Betreiber der Kaufhaeuser und Ladenketten in
der City sind bestrebt, dieInnenstadt dem suburbanen Mall-Modell anzupassen,
dessen Erfolg auch auf der Garantie des gesicherten Konsums basiert. Eine
profitable Immobilienverwertung und die Steigerung des Warenumsatzes werden
nun in direkte Beziehung zu Sicherheit und Ordnung gesetzt. Bezeichnender
Weise haben sich in allen deutschen Grossstaedten Allianzen aus
Geschaeftsleuten und staedtischen Behoerden gebildet, um Verbotszonen fuer
bestimmte Gruppen und normative Vorstellungen zur sozialen Reglementierung
staedtischer Raeume durchzusetzen. Zentrale Bereiche der Staedte geraten so
unter privatwirtschaftliche Kontrolle und damit auch unter die Aufsicht
privater Sicherheitsdienste. Da sich die Praeventionsstrategie der
Geschaeftsleute vor allem an der Optimierung von Betriebssicherheit und
Umsatzzahlen orientiert, operieren die privaten Sicherheitskonzepte mit
einer Vorstellung von abweichendem Verhalten, bei dem bereits
"devianzbeguenstigende" Gelegenheitsstrukturen und Handlungsweisen ins
Blickfeld geraten. Die Sicherheitsdienste funktionieren gewissermassen
wie ein auf die Strasse verlagerter Werkschutz: nur dass hier nicht mehr
die Fabriken, sondern die Raeume der Dienstleistungsoekonomie geschuetzt
werden.


Gefaehrliche Raeume - unerwuenschte Gruppen

Massnahmen wie die gewaltsame Aufloesung von offenen Drogenszenen, die
"Aussetzung" von Obdachlosen an den Stadtrand oder die Schikanierung von
jugendlichen MigrantInnen stehen dafuer, dass die innerstaedischen Raeume
den marginalisierten Gruppen streitig gemacht werden. Im Wechselspiel
zwischen medialer Aufbereitung und ordnungspolitischer Intervention erklaert
man bestimmte Submilieus zum Feind der staedtischen Gesellschaft.
"Sicherheit" scheint sich zum zentralen Dispositiv eines neuen Konsenses zu
entwickeln. Aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft formieren sich
Obdachlose, Alks, Dealer, Drogenkonsumenten oder junge Migranten zu
"unerwuenschten" bzw. "gefaehrlichen Gruppen". Bevorzugtes Thema dieses
Diskurses sind die Auslaender - nicht als Angehoerige fremder Kulturen,
sondern als Kriminelle und Drogendealer oder, umgekehrt, Kriminelle als
Auslaender.
Solche Wahrnehmungsweisen und Ausgrenzungsmechanismen vollziehen sich im
Kontext der wachsenden Polarierung in den Grossstaedten. Mitdem sich
abzeichnenden Ende des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses verstaerken sich
zugleich Bestrebungen, die Krise mit ordungspolitischen Mitteln und
Normalisierungskonzepten zu bearbeiten. Einerseits fallen zunehmend mehr
Menschen aus dem Produktionsprozess heraus, gelten nun Phaenomene wie Armut
und Dauerarbeitslosigkeit als "natuerliche" Bestandteile der Gesellschaft.
Andererseits waechst die Bereitschaft, bestimmte Gruppen und soziale
Praktiken zu disziplinieren, zu stigmatisieren und auszugrenzen.

Zwischen Repression und Konsens

Angesichts der aktuellen Entwicklung muss die Verfallsthese von Urbanisten
wie Richard Sennet ueber die "Veroedung und Trivialisierung der Stadt"
zurueckgewiesen werden. Deren retrospektives Ideal ist das der buergerlichen
Oeffentlichkeit, die bekanntlich noch nie einen Ort der herrschaftsfreien
Kommunikation, sondern immer schon ein Ort des Ausschlusses war. Ebenso ist
es wenig sinnvoll - in kritischer Wendung gegen postmoderne
Inszenierungsstrategien - "austhentische" Formen urbaner Erfahrung
einzuklagen. Kuenstlichkeit und Simulation sind untrennbar mit der
Geschichte der Stadt verbunden. Die Suche nach der Authetizitaet des
Staedtischen blendet ebenso wie das retrospektive Ideal der aufgeklaerten
Oeffentlichkeit die bestehenden Machtbeziehungen und Gewaltverhaeltnisse
aus, die den Alltag strukturieren und sich in den staedtischen Raum
einschreiben.
In der Vergangenheit wurden von der radikalen Linken die repressiven
Normalisierungsstrategien des Fordismus als Ausdruck einer wachsenden
sozialen Rationalisierung verstanden. Mit der Krise des fordistischen
Vergesellschaftungsmodells mehren sich nun - neben einer weiter
fortbestehenden Integrations- und Disziplinarpolitik - Sanktionsformen und
Kontrollmechanismen, die vor allem mit Ausgrenzung und Internierung
arbeiten. Das strategische Moment der medialen und sicherheitspolitischen
Bedrohungsszenarien besteht darin, Zugehoerigkeit und Nicht-Zugehoerigkeit
von Gruppen zu definieren, Einschraenkungen des buergerlichen
Gleichheitspostulats zu legitimieren, Grenzen des Anspruchs auf Anerkennung
von sozialen Rechten zu bestimmen und den Zugang zu materiellen Resourcen
auch vom moralischen Status des Betroffenen abhaengig zu machen. Die
Sicherheits- und Moralpaniken fungieren als Teil einer
Integrationsstrategie, die die Herstellung und Ausschliessung bestimmter
Randgruppen vorraussetzt, da ohne diese Grenzziehungen keine
Normalitaetsstandards gebildet und durchgesetzt werden koennten.
Diese Form der Repressions- und Konsensstrategie bestimmt vor allem den
Alltag in den Metropolen. Hier verdichten sich gegenwaertig sozialraeumliche
und politische Formierungsprozesse, die fuer die Umstrukturierung der
gesamten Gesellschaft von Bedeutung sind. Allerdings sollte die Linke den
Blick nicht allein auf die Herrschafts- und Unterwerfungspraktiken richten.
Sie laeuft Gefahr, damit die ordnungspolitischen Imperative zu bestaetigen,
die gerade in Zweifel zu ziehen waeren. Die Stadt birgt einen subversiven
Ueberschuss in sich, der ueber die beschraenkte Logik der kapitalistischen
Verwertung und der sozialtechnokratischen Planung hinausweist. Der
staedtische Raum ist stets ein umkaempftes Feld. "Im Staedtischen", so Henri
Lefebre, "gibt es Alltagsleben, und dennoch wird die Alltaeglichkeit
aufgehoben."

(aus: SPEX 6/1997 S. 47 ff.)


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