Newsgroups: workspace.g-social_spaces_berlin,
workspace.social_spaces_berlin


previous    top    workgroup    thread    next


Subject: Arbeiten spielen (Teil 1)
From: pit <pit@icf.de>
Date: Thu, 24 Jul 1997 05:37:50 METDST


* * * * *

Arbeiten spielen

von Peter Funken

Künstler wollte ich werden und bewarb mich 1973 an der Kunsthochschule

Braunschweig. Durch einen Zufall - es handelte sich um eine
Verwechslungsgeschichte und ihre Folgen - landete ich im Studiengang
Werkpädagogik; das Fach wurde gerade von Niedersachsens SPD
aufgewertet und
hieß nunmehr "Arbeitslehre". In einem Schulpraktikum wollten wir
Drittklässlern zeigen wie langweilig Bandarbeit ist und installierten
eine
Art Fließband: Die Kinder waren so begeistert, daß sie mit dem
Fließband-Spielen garnicht mehr aufhören wollten. Nicht die Schule,
die
Kunst lockte und ich begann in Aachen Kunstgeschichte zu studieren.

Lebensgefühl der späten 7Oer Jahre in der BRD: Es rumorte heftig,
Anti-AKW-Bewegung, Ton, Steine, Scherben und Hausbesetzungen. Mit dem
Tod
von Meinhof und Schleyer verschwand Karl Marx aus meinem Gesichtsfeld;
statt
in den Underground gingen wir zu Punkkonzerten. Das Leben sollte ein
Experiment sein, heraus kam die Gründung eines Kunstvereins
("Burtscheider
Schule"), unsäglich lange Nächte in griechischen Kneipen,
Liebeskummer, ein
paar Drogenexperimente und Reisen in die Türkei: Die 7Oer Jahre
erschienen
uns verrottet, es herrschte lustige Verzweiflung. Absehbar war - und
Negt,
Kluge und andere wiesen darauf hin - daß es mit der Vollbeschäftigung
in
Deutschland schon bald ein Ende habe, denn Automatisierung und
Elektronifizierung mußten einen immensen Strukturwandel auslösen. Mit
den
daraus entstehenden ethischen und politischen Fragen und der Debatte
um
Umverteilung war schon damals keine Wahl zu gewinnen.
Arbeit fand für mich nur am Rande statt. Meist ging sie mir so gut von
der
Hand, daß ich sie kaum wahrnahn und sofort vergaß, was ich bei meinen
Studenten-Jobs in Fabriken und Packhöfen erlebt hatte. Einmal gründete
ich
ein Unternehmen und arbeitete als selbstständiger Gärtner. Ich
inserierte in
Zeitungen und packte Harke und Spaten in meinen R4. Das Geschäft
florierte,
Freunde arbeiteten mit. Am Ende des Sommers waren wir braun, ich
dichtete
einen Werbeslogan:

Im Sommer die Wiese
Im Winter der Schnee
Im Frühjahr die Bäume
Im Herbst die Ernté

Aber auf die Ernté hatte ich schon keine Lust mehr, beendete mein
Studium
und führte Besuchergruppen durch das neue Museum in Mönchengladbach.
Zentrale Ausstellungsstücke waren die Arbeiten von Joseph Beuys aus
der
Sammlung Marx, die sich heute im "Hamburger Bahnhof" befinden. Immer
wurde
von den "Beuys-Arbeiten" gesprochen, der Begriff "Werk" war eher
ungebräuchlich. Unvertraut im Umgang mit Künstlern und ihren
Arbeitsmethoden, hatte ich bis dahin geglaubt, daß Künstler "Werke
schaffen", - mittlerweile, so heißt es - haben Künstler eine
"Produktion".(1)

Bei Beuys erlebte ich wie eng ein Kunst- mit einem Lebensanspruch
verbunden
sein sollte, einem Anspruch auf Alltag, seinem Prozeß, seiner
Gestaltung und
Verbesserung. Der Beuyssche Arbeitsbegriff war seiner Theorie dermaßen

immanent, daß er kaum besonders betont werden mußte. Er war - so
glaubte ich
damals - in Material und Aktion zugegen und passierte immerwährend.
Wenn
Beuys äußerte, "mein Begriff von Plastik bezog sich immer auf das
Leben...
Dann ist man selbstverständlich raus aus der Ideologie von `visual
arts',
die sich nur auf den Sehsinn bezieht, sondern man bezieht sich auf
alle
Sinne, die ja aktiv sind in der Tätigkeit der Menschen, ihrer
Arbeit"(2), so
verbrauchte und erneuerte sich der Kunstbegriff im Arbeitsbegriff und
umgekehrt. Auf die Dauer würde die Arbeit - glaubte man Beuys - zur
Kunst,
und Kunst zum Eigentlichen, der Arbeit.(3) Unter Kunst und Arbeit
schien er
aber auch etwas merkwürdig Rückwärtsgewandtes zu verstehen.
Co-Professor
Norbert Kricke kritisiert Anachronistisches bei Beuys wenn er 1968,
anläßlich des sogenannten "Akademiestreits" schreibt: "...Angst
scheint
seine Triebkraft zu sein, sie sitzt tief und überall bei ihm: Technik
ist
böse, heute ist böse, Autos sind schrecklich (4), Computer
unmenschlich,
Fernseher auch, Raketen sind furchtbar, Atome gespalten zerrütten die
Welt.
Flucht in das Gestern, Besserung der Menschen, Sehnsucht nach
rückwärts....".(5) Wenn Beuys sagte, "die Kunst ist nach meiner
Meinung die
einzige evolutionäre Kraft. Das heißt, nur aus der Kreativität des
Menschen
heraus können sich die Verhältnisse ändern"(6), so wurde damit ein
idealistisches Verständnis von Zukunft umschrieben, denn selbst in den
6Oer
und 7Oer Jahren waren Technisierungsprozesse in Industrie und
Wissenschaft
schon so komplex ausgeprägt, daß die Vorstellung einer allein an den
fünf
Sinnen des Menschen orientierten zukünftigen Arbeitswelt vielleicht
wünschenswert erschien, aber kaum mehr als ein romantisches
Rückzugsgefecht
verstanden werden konnte - wenn auch mit immensem Erfolg auf dem
Kunstmarkt
und von äußerster Publizität gekrönt. Kreativität - zentraler Begriff
der
Beuysschen Lehre - sollte in der von ihm 1974 gegründeten Freien
Internationalen Hochschule (FIU) erforscht und entwickelt werden, um
dazu
beizutragen einen organischen Kreislauf zwischen Wirtschaft und Kultur
zu
evozieren, und um Kapitalismus und Entfremdung zu beseitigen. Die
Betriebe
der Zukunft müßten zu Kultursteppen werden, weil Arbeiter den Sinn
ihrer
Tätigkeit erkennen würden. Dann könne endlich jeder seine Tätigkeit
sinnvoll
in den sozialen Gesamtorganismus eingliedern.(7) "Der idealisierte
Kunst-
und Kreativitätsbegriff der FIU" - so Frank Gieseke und Albert Markert
in
ihrer "erweiterten" Beuys Biographie - "basiert auf der These, daß
Kunst gut
ist, deshalb ist Kreativität gut, und Gutes produziert Gutes. Sind
also die
Menschen kreativ, sind sie gut, und sind die Menschen gut, wird die
Welt
gut".(8) Beuys' erklärtes Ziel war ein utopischer Sozialismus, den er
1977
auf der dokumenta 6 anhand seines Beitrags "Honigpumpe am
Arbeitsplatz"
vorführte. Als Modell für seine gesellschaftliche Utopie diente ihm
der
Bienenstaat. Dem Begriff des Kapitals kommt bei diesem Modell zentrale

Bedeutung zu. Anders als in der marxistischen Ökonomie, definiert
Beuys
"Kapital" als das, was der Arbeiter als Arbeitskraft und Fähigkeit bei
der
Produktion einbringt. Mit dem Kapital ist nicht das Können von
einzelnen
oder Gruppen gemeint, sondern die Spiritualität von Individuen und
Völkern:
"Diese entfaltet sich in der mythisch-biologisch und geographisch
gefundenen
Kultur, mit Sprache als gemeinschaftsbildendem Element."(9)
Nach der Beuysschen Lehre verfügen unterschiedliche Völker über
unterschiedliche Fähigkeiten. Der Widerspruch zwischen Kapital und
Arbeit,
Unternehmern und Arbeitern ist für ihn "ideologiebedingter
Betrug".(1O)
Jeder Mensch solle seinen Beitrag nach seinem Können einbringen an der

Stelle, an der er stehe. Eine solch angestrebte Ordnung weist
zwangsläufig
jedem Menschen seinen (Arbeits)platz zu, Interessengegensätze ordnen
sich
dem Wohl des Ganzen, dem "sozialen Organismus" unter. Vergleicht man
das
Beuyssche Gesellschaftsmodell mit Theorien nationalistischer Herkunft,
so
wirkt die Nähe zu den Theorien des rechten Lagers zuweilen
erschreckend. Als
konkrete Arbeit gegen den oben genannten "ideologiebedingten Betrug"
läßt
sich Beuys'Aktion "Ausfegen" begreifen, die am 1. Mai 1972 im Anschluß
an
die Mai-Demonstration am Karl-Marx-Platz in Berlin Neukölln stattfand:

"Damit wollte ich klar machen", so Beuys," daß auch die
ideologiefixierte
Orientierung der Demonstranten ausgefegt werden muß, nämlich das, was
als
Diktatur des Proletariats auf den Transparenten verkündet wurde."(11)
Ohne den dogmatisch marxistischen Gruppen nachträglich das Wort reden
zu
wollen, kommt man bei einer Betrachtung der Beuysschen Lehre nicht
umhin,
dieser selber einen gehörigen Grad an Dogmatik und neu-rechter
Ideologie zu
bescheinigen, die keiner weiteren kunstwissenschaftlichen und musealen

Nobilitierung, sondern einer kritischen Bewußtmachung im Sinne eines
"Ausfegens" bedarf. Schamane Beuys agierte als Medienkünstler,
bediente sich
der Film- und Videotechnik, nutzte TV, Radio und moderne Printmedien
zur
Verbreitung seines Gesellschaftsprogramms und stand dabei auf eine
deutsch-
romantische Weise der dynamisch fortschreitenden Arbeitsteiligkeit in
einer
zunehmend technisierten Wirklichkeit feindlich gegenüber - fast schon
ein
umgedrehter MacLuhan -, einer, der mit dem Sturzkampfbomber in die
Gefilde
von Archaik, Mythen und Biologistik zurückfliegen wollte.


Im Winter `83 zog ich nach Berlin; nicht wegen einer Arbeitsstelle -
ich
wollte selber entscheiden, wo meine Zukunft liegt. Ich meldete mich
arbeitslos. Der Sachbearbeiter meinte, mit meiner Ausbildung solle man

besser "etwas im Rücken haben, vielleicht eine kleine Brauerei!".
Hatte ich
aber nicht. Der Hinweis zielte dennoch ins Schwarze, denn ohne
Kneipenbekanntschaften und Gasthausbesuche während dieses Jahres ohne
Erwerb
wäre mein Leben viel einsamer gewesen. Bei der späteren Arbeit mit
Langzeitarbeitslosen im brandenburgischen Pritzwalk sah ich den
Unterschied:
Hier hatten die Arbeitslosen nicht einmal das Geld, um in die Kneipe
zu
gehen, betranken sich stattdessen einsam und hoffnungslos vor dem
Fernseher.

Was bleibt übrig, wenn es keine Utopie mehr gibt? Nur noch
Arbeitslosigkeit
und Armut, Reichtum für wenige, Betrug und Geld, ähnlich wie im Dialog

zwischen Bär und Ratte in Fischlis und Weiss' Film "Der geringste
Widerstand": "Gibt es Arbeit?" fragte der Bär. "Nein, Geld", antwortet
die
Ratte, und auf den Einwand des Bärs "Wie denn?", fragte sich die Ratte

selbst: "Mit...Betrug?...In der Kunstwelt...Wir kassieren grausam und
machen's wie die anderen. Nur viel besser. Davon verstehen wir zwar
nichts,
aber das wird sich ändern...Wir machen ein Bildungsreisli."(12)


Fakt ist, die Produktivität schafft die Arbeit ab. Oder aber gibt es
in
einem zukünftigen Zeitalter jenseits von Moderne und
Industriegesellschaft
eine neue Lebenskunst, neue Wege des Zusammenseins, des Handelns,
Kreierens
und Verteilens?
Der Soziologe Ulrich Beck beschreibt die gegenwärtige Situation: "Wir
trauern über die zunehmende Arbeitslosigkeit trotz wirtschaftlichen
Aufschwungs, wagen aber nicht zu prognostizieren, wie sich das
Selbstverständnis einer Erwerbsarbeitsgesellschaft, der die
Erwerbsarbeit
ausgeht, ändern muß; wie jenseits der Erwerbsarbeit soziale
Sicherheit,
Identität, ja Demokratie ganz allgemein möglich werden. Das heißt:
Alle
Änderungen müssen im Denken, mit der Arbeit am Begriff, beginnen. Es
gilt,
der ersten Moderne - mit ihrem Schwergewicht auf Industrie,
Nationalstaat,
Klassen, Männer- Frauenrollen, Kleinfamilie, Technikglauben,
wissenschaftlichem Wahrheitsmonopol etc. - die Konturen einer zweiten
Moderne gegenüberzustellen, für die wir erst begrifflich sensibel
werden
müssen, also Konzepte, Kontroversen brauchen."(13)
Wie gelangt man in eine zweite Moderne, in der Selbstbestimmung,
globales
Denken, Pragmatismus, Lust an Experimenten und ein exakteres Wissen um

Wissen und Nichtwissen vorherrschen? Gewiß ist mein Blick auf diese
Dinge
durch Erfahrungen meiner Generation mitbestimmt.
Konzepte und Kontroversen - sollte man nicht erwarten, daß dies eine
Domäne
von Künstlerinnen und Künstlern ist? Ohne von der Kunst einen Heilsweg
oder
finale Antworten zu erwarten, könnte man vermuten, daß sich viele
Künstler
besser und schneller auf unwägbare Situationen einlassen , daß in der
Kunst
Ansätze - und seien es nur tastende - zu einer Neudefinition der
Situation
verborgen sind, denn in ihr finden sich - trotz berechtigter Skepsis
-
immer wieder Punktierungen und radikale Infragestellungen des
Gegebenen, des
als "normal" Hingenommenen, wie auch Vorformulierungen und Ansätze von

Parallelem, Alternativem und Potentiellem.
Wie reagieren Künstler auf eine Situation, die von verfestigter
Massenarbeitslosigkeit und gesellschaftlicher Stagnation geprägt ist,
in der
der Glaube an Fortschritt und Wachstum unhaltbar wird, die Kosten der
Nebenfolgen kaum noch bezahlbar sind, eine globale ökologische
Katastrophe
stattfindet und im Bereich der Gentechnik fast alles vorstellbar ist?
Welche
ästhetischen Fragen und Lösungen stellen sich ein, wenn die großen
Entwürfe
zu Makulatur geworden sind, und die Chöre des "anything goes"
verklungen
sind? Mit den Begriffen der 8Oer Jahren wie "life-style" oder "event"
lassen
sich die 9Oer nicht mehr definieren.
"Wer heute noch auf Erlebnissteigerung, Lebensstilverfeinerung und
Risikotoleranz setzt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Man
ist
nüchterner, bescheidener und ängstlicher geworden. Das hängt mit einer

weitverbreiteten latenten Statuspanik zusammen", meint der Soziologe
Heinz
Bude: "Es kann im Prinzip jeden treffen: den Manager genauso wie die
Friseuse...So bildet sich untergründig das Bewußtsein, daß im Spiel um

Ressourcen und Rechte drei Positionen existieren: Verlierer, Gewinner
und,
was das Schlimmste ist, Überflüssige...Was in stabilen Zeiten als
Risiko
genossen werden konnte, droht im Gefühl gestörter
Erwartungssicherheiten zum
Schicksal zu werden. Schicksal ist eine Kategorie der neunziger
Jahre."(14)
Schicksal sehr vieler Künstler ist ihr Einzelkämpfertum, ihre durch
Akademie
(Tradition), Markt und Medien (1.Moderne) antrainierte und abverlangte

einzelgängerische Erfolgsorientiertheit. Man kann sich der Situation
marktgerecht aussetzen und anpaßen oder durch Schrullen entziehen. So
oder
so reagiert der größere Teil der Künstlerschaft und der größte Teil
der
heute plusminus 4Ojährigen. Man kann aber auch - und so zeigt es eine
junge
Generation von Künstlerinnen und Künstlern - durch offene und
subversive
Bündnisse auf die Anforderungen von Markt und Karriere reagieren. Die
UTV
Wochenschau "Vom Tag der Arbeit zum Frühlingserwachen", vereint 51
kurze
Videobeiträge zum 1. Mai 1996 aus 16 Städten in 7 Ländern, die bei der

Veranstaltung "Ökonomiese machen" in Köln gezeigt wurde, ist ein
Beispiel
für einen kritischen, respektlosen und hedonistischen Umgang mit der
zur
Disposition stehenden Künstlerrolle.


Eine individuelle Lösung - auch um dem harten Schicksal des
Überflüßigwerdens zu entrinnen - hat der in Hamburger lebende Torsten
Haake-Brandt entwickelt. Haake-Brandt bewarb sich als Künstler auf
etliche
ausgeschriebene Stellen, sei es als Hochbauamtsleiter oder
Generalintendant
eines Stadttheaters. Ausgangspunkt für die Bewerbungen war - so
Haake-Brandt
- "sein Schrei nach Kommunikation und `Voll-Kontakt', sozusagen eine
in der
bildenden Kunst völlig neue, durch Unzufriedenheit und Langeweile
entstandene Form der grenzüberschreitenden Mitteilung". Die
Ablehnungsschreiben verhehlen die durch die Bewerbungen ausgelöste
Irritation nur selten. Doch es geht auch um anderes: Mit den
Bewerbungen
hinterfragt Haake-Brandt den Stellenwert seines Berufstands und
schraubt mit
dem Negativ-Material (den Absagen) den eigenen Status auf ein
höchstmögliches Niveau. Schließlich fand Haake-Brandt eine Tätigkeit
als
Nachtwächter im Hamburger Interconti-Hotel und verspürte den Drang die

Langweile und Unausgefülltheit der "toten" Arbeitszeit sinnvoll - das
heißt
auf künstlerische Weise - zu nutzen. Er begann mit der Produktion von
Kugelschreiberzeichnungen, die immer den gleichen, halbautomatisch
hergestellten Kringel abbilden. Langeweile, Ausdruckswille und
Disziplin
halfen hunderte Blätter von großer (Un)Ähnlichkeit hervorzubringen.
Andererseits tut Haake-Brandt damit bewußt genau das, was man von
jedem
Bandarbeiter, nicht aber vom Künstler erwartet: Immer das Gleiche,
immer so
ähnlich. Die Stupidität der Arbeit erschuf eine Kunst der Meditation
und gab
der Alltäglichkeit des Nichtstuns eine künstlerische Form.
Haake-Brandt, der
sich als "Zwangsschaffender in Sachen Kunst" sieht, experimentierte
weiter
im Bereich der Restzeitforschung: "Faule Säcke! Nutzt Eure Freizeit!
Kaut
auf Gegenständen!" fordert er seit 1995. Damals kaute er beim
Nachdenken
erstmals bewußt auf Bleistiften. Da diese aber schon bald den Geist
aufgaben, begann er an anderen hölzernen Dingen, so einem
Vogelhäuschen,
einem Tischtennisschläger, Thermometern, Kleiderbügeln und neuerdings
sogar
an hölzernen Überlandleitungen zu kauen. Ein Künstler beißt sich
durch!
Viele Stunden Restzeit, die noch nicht künstlerisch fruchtbar gemacht
worden
sind, bietet die Nacht, und so begann Haake-Brandt mit der Produktion
von
Bildern, die "im Schlaf gemacht" sind. Dazu steckt der Künstler ein
Blatt
Papier und diverse Filzstifte in eine Plastiktüte und legt diese in
sein
Bett, um darauf zu schlafen. Da die Stifte nachts auf dem Papier
auslaufen,
kann er am nächsten Morgen ein farbenprächtiges - wenn auch
zerknittertes -
Bild auspacken.
Die Arbeiten Torsten Haake-Brandts besitzen absurden Witz und
Kompromisslosigkeit, die nötig sind, um dem künstlerischen Arbeits-
und
Rollenverständnis auf den Zahn zu fühlen. Seine Projekte und Objekte
persiflieren in bewußter Regression das noch heute wirksame
bürgerliche
Ideal, Künstler würden nicht arbeiten, sondern genialisch schaffen.



In den Arbeiten der Züricher Künstlerin Pascale Wiedemann haben die
Dinge
ihr Gleichgewicht verloren. Desillusioniert, doch nicht humorlos,
schaut
Wiedemann auf zeitgenössische Tätigkeitsbereiche, wie Prothetik,
Genetik,
Pornographie oder Eugenik. Manchmal geht sie den Dingen rabiat an den
Leib,
so etwa bei der 1994 entstandenen Arbeit "Tierwelt", wenn sie 18O
aufziehbaren Plüschtieren das Fell abzieht, und die glatten
Plastikkreaturen
durch den Ausstellungsraum kriechen läßt. Die Felle der Tiere hängen
als
übergroße Trophäe an der Wand. Weiterhin schuf Pascale Wiedemann eine
Serie
von Fotomontagen, die das mittelalterliche Thema der "Sieben
Todsünden"
aktualisiert, und eine Bildserie von "Selbstportraits": In Kunstharz
gegossene eigene Kleidungsstücke nehmen dabei den Charakter von
Reliquien
an. Dieser Vorgang läßt sich auch als Akt persönlicher Musealisierung
- doch
im Sinne von Einsargen - verstehen. Für die Züricher Ausstellung
"Arbeit,
fertig los" (1995), die die Arbeitslosigkeit in der Schweiz zum Thema
hatte,
fertigte Pascale Wiedemann eine Kukucksuhr an, bei der statt des
Vögelchens
ein Stempel ansagt, was die Stunde geschlagen hat. Ihre in Berlin
ausgestellte Videoinstallation "heimlich"(1996) befaßt sich mit Fragen
von
Wahrnehmung und Bedeutung und erkundet auf skurrile Weise auch eine
spezielle Form von Rest- und Freizeit: Das Fernsehgucken bei
gleichzeitigem
Stricken! Stricken ist eine hochproduktive Beschäftigung, ein auch in
der
letzten Dekade des 2O. Jahrhunderts nicht zu unterschätzendes
Massenphänomen, das von zahllosen Frauen betrieben wird, dem
Musikantenstadel (Karl Moik) die Einschaltquoten sichert und dabei
Gesamtstrickarbeiten hervorgebracht haben dürfte, die leicht mehrfach
von
der Erde bis zum Mond und zurück reichen. Pascale Wiedemanns
Ausstellungsbeitrag besteht aus einem bunt eingestrickten
Fernsehmonitor,
dessen Strickhülle über 8 Meter lang ist. Das Video, das im Inneren
des
absurd langen Strickobjekts gefilmt wurde, zeigt eine Fahrt durch das
Strickobjekt. Zu einer völlig losgelösten Musik entsteht eine
naiv-psychedelische Bildwelt, die genau das Gegenteil der langweiligen

Strick- und Fernsehabende spießiger Tanten zu assoziieren veranlaßt.
Daß die
(Fernseh)Welt bunt ist war mir bekannt, doch wie sich aus der Tristess
des
eher monotonen Zeittotschlagens - und um solches handelt es sich oft
bei
ausgeprägter Strickwut - angenehem verrückte Eindrücke filtern
lassen, war
mir bisher unbekannt.
"Stricken in der Not" hieß das Motto vieler Frauen in den Pritzwalker
Arbeitslosen-Projekten, die sich und ihre Umwelt Knäul für Knäul in
einen
Kokon aus weicher Wolle
einstrickten, bis sie in unseren Kursen auf die Seidenmalerei stießen.
Hier
entwickelten sie eine Art Farbfuror, bemalten Taschentücher, Schawls
und
Krawatten. Das ließ nach einiger Zeit nach, und sie hingen wieder an
der
Nadel. Seit dieser Zeit ist mein Haushalt um etliche Topflappen
reicher, und
ich besitze einen knalligen Seidenschlips. Der Bereich der Hausarbeit
ist
insgesamt hochinteressant, man denke nur an begriffliche Einteilungen
wie
"Arbeitszimmer" (für Väter), "Spielzimmer" und das "Reich der Frau",
die Küche.
1988 schreibt Barbara Methfessel: "Es sind immer noch die Frauen, die
-
unabhängig von der Erwerbsarbeit - die Hausarbeit leisten, während für
die
(Ehe-)Männer der Haushalt tat-sächlich überwiegend Freizeit-, Konsum-
und
Beziehungsraum ist."(15)
Das ist bestimmt richtig. Doch abgesehen davon, daß seit 1988 immer
weniger
Frauen im aushäusigen Arbeitsprozeß stehen, hat der oben beschriebene
Sachverhalt auch damit zu tuen, daß viele Frauen auf diesen ganzen
Haushaltskomplex keinen spielerischen, sondern einen kritischen Blick
haben
und "Einmischung" nur bis zu einem bestimmten Punkt dulden. Es muß da
schon
immer so aussehen, wie sie es gerne hätten. Dieser kritische Blick
kann aber
auch zu einem liebevollen werden: Das erlebte ich neulich, als ich ein
neues
Bügelbrett kaufte und nach hause trug. Soviele Frauen haben mich noch
nie
angeschaut. Ich konnte ihre Gedanke lesen: "Hmmm, neues Bügelbrett,
schön!"
Sogar ältere Türkinnen sahen mich - "Güzel Ütü Masàsi" (16) - an.
Hier
liegt also eine Art weiblicher Kennerschaft vor, die es einem Mann
unter
Umständen nicht gerade einfach macht ebenbürtiger "Küchenpartner" zu
werden.


Soziale Wirklichkeit zweier Dekaden - der 3Oer und der 9Oer Jahre -
ist das
Thema der Fotoarbeiten von Walter Ballhause und Gerald Adam Hahn.
Obgleich
zwischen den Fotos von Ballhause und Hahn mehr als 6O Jahre liegen, so
haben
sich doch beide Künstler mit dem gleichen, unverändert aktuellen Thema

befaßt: Mit der Existenz von Randgruppen. Sind es bei Walter Ballhause
die
Arbeitslosen der späten Weimarer Republik, alte Menschen, Tagelöhner,
Kriegsopfer und Invalide, so hat Gerald Adam Hahn seit Beginn der 9Oer

Arbeits- und Obdachlose, Drogenabhängige und Prostituierte
fotografiert.
Doch unterscheiden sich die Fotografen durch ihren Standort, durch die

gewählte Beziehung zu den Portraitierten grundlegend. Walter
Ballhause, 1911
in Hameln/Weser geboren, fotografierte Massenelend und politischen
Umbruch
in Hannover, er hätte ähnliche Szenen genauso in Berlin oder Leipzig
aufnehmen können. 198O, am Ende seines Lebens, meinte Ballhause über
seine
Arbeit: "Ich habe mich nicht in der Nähe der Unterdrückten
herumgetrieben,
um auf schamlose Art etwas zu erbeuten. Ich brauchte den Unterdrückten
nicht
über die Schulter zu schauen, da ich selbst einer von Ihnen war, aus
ihrem
Milieu kam."