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Subject: Globale Kuh (Global Cow German)
From: armin@easynet.co.UK (Armin Medosch)
Date: 24 Aug 1997 21:31:55 +0200


* * * * *

Die globale Kuh

I.

Seit mehr als 40 Jahren beschäftigen sich
Mathematiker, Computerwissenschaftler und
Philosophen mit dem Problem der Künstlichen
Intelligenz (KI).

Computer sollen so programmiert werden, daß sie
eine menschenähnliche Intelligenz haben.

In den letzten 10 Jahren sind neue
Forschungsbereiche erschlossen worden. Die KI
hat offensichtlich ihre Ziele nicht erreicht.
Computer sind zwar in manchen Bereichen viel
"besser" als Menschen ("Number crunching").
Doch im Verhältnis zu realen Umweltsituationen,
oder sei es auch nur beim Erkennen sogenannter
"natürlicher Sprache", haben sie kaum
Fortschritte gemacht. (Und zwar namentlich
wegen des sogenannten "knowledge-bottlenecks":
Damit ein Computer natürliche Sprache versteht,
müßte ihm eine riesige Menge Kontextwissen
einprogrammiert werden, auf das er
situationsbezogen zugreifen können müßte. Dazu
reichen jedoch sowohl heutige
Prozessorleistungen als auch
Programmiermethoden nicht aus und es ist
überhaupt fraglich, ob es sich um ein Problem
der quantitativen Leistungsfähigkeit handelt).

Anstatt nun weiter zu versuchen, dieses Wissen
durch menschliche Programmierer in Computer
einzufüttern, ist man dazu übergegangen, daß
sich Computer durch Lernen in
Evolutionsschritten dieses Wissen selbst
beibringen sollen. Für diesen neuen Zweig der
KI wurde der Begriff Künstliches Leben (KL)
geprägt.

Wie die Verwendung dieser beiden Begriffe -
"Intelligenz" und "Leben" - zeigt, werden
Begriffe aus der Lebenswelt des Menschen,
zutiefst kulturell geprägte Begriffe - und nach
wissenschaftlichen Normen "unscharf" - auf die
rationalistische Welt der Rechner und ihre
"Maschinenlogik" projiziert. Der Computer wird
zum "Gehirn", das Gehirn zum "Computer".

Das wäre an sich unproblematisch, wenn Computer
nicht für ganz anderes stehen würden: Für die
Welt der "harten" Wissenschaft, der beweisbaren
Tatsachen und der Objektivität von
Erkenntnissen.

Computer sind nicht nur das bevorzugte Werkzeug
der harten Wissenschaften sondern auch ihr
ultimativer Ausdruck.

Die Wissenschaft beansprucht eine
Vorrangstellung gegenüber allen anderen Formen
der Wissensgewinnung, wie z.B. Kultur ("Culture
is bad science", Marvin Minsky, KI-Papst).

Doch wie die Beispiele der KI und des KL
zeigen, ist die "Objektivität" der
Computerwissenschaften zutiefst kompromittiert
durch die kulturellen Wertvorstellungen ihrer
Protagonisten. (sie gehen davon aus,
"Intelligenz" und "Leben" schaffen zu können,
ohne diese Begriffe überhaupt genau definieren
zu können.)

Dieses Dilemma gewinnt zusätzliche Brisanz
durch das Zusammenwachsen des Computerbereichs
mit anderen Wissensgebieten, namentlich
Biologie, Evolutionsforschung, Robotik,
Medizin, Genetik und Wirtschaftstheorie.

Dem Forschungsansatz der KL liegt der Glaube
zugrunde, daß Maschinen der Komplexität des
Lebendigen gerecht werden können, daß sie das
Wesen des Lebendigen nicht nur erklären helfen
können ("sanfte KL"), sondern Leben sogar
generieren können und im Falle der
Biotechnologie manipulieren können (Human
Genom-Projekt und die Folgen).

Mit der Biotechnologie, bzw. KL wird "Leben"
unter den Begriff der Maschine subsumiert. Die
technologische Kultur wird zur zweiten Natur
erklärt.

Schleichend (ohne daß es von vielen Menschen
wahrgenommen werden würde) haben sich die
Begriffe verändert. Die DNA wird als
"genetischer Code" bezeichnet, ein Begriff, der
Bereits die Analogie zu Computerprozessen
beinhaltet.

Künstlich (von Menschen gemacht) und natürlich
(gewachsen) sind keine Gegensätze mehr. Dies
ist nicht "an sich" schlecht sondern unter den
Bedingungen eines technologisch gepowerten
Kapitalismus und seines Umgangs mit
menschlichen wie natürlichen Ressourcen
zutiefst problematisch. Computer sind in der
Welt der Faktren ebenso wie auf der Ebene der
Symbole Agenten eines weltweiten Kontroll- und
Regelsystems.

Rein philosophisch gesehen wäre ein
technologisch begründetes "biomorphing", eine
Verschmelzung und Überlagerung von natürlichen
und technischen Systemen durchaus verlockend.
Unter den herrschenden systemischen Zwängen
stellt es jedoch eine ernste Gefahr dar.

Die eigentlich überwunden geglaubten Gegensätze
zwischen "Maschine" und "Leben" bestehen auf
der Ebene der pragmatischen Lebensumstände für
Individuen fort.

Unter diesen Ausgangspunkten kann die Lösung
aber nicht in einer fundamentalistisch
reaktionären Verteidigung des Lebendigen gegen
das Maschinenhafte liegen, sondern umgekehrt in
einer Umdeutung des Maschinenhaften durch neue
Metaphern. Die Maschine ist ebensowenig
"objektiv" wie das Leben, sondern ein Teil der
menschlichen Kultur.


II.

Als Alternative schlagen wir die Metapher der
"Kuh" vor.

Die "Kuh" erscheint uns ideal, um Prozesse der
Informationsverarbeitung zu thematisieren und
der Forschung ein Ziel zu geben.
Die Informationsverarbeitung in Computern im
Verbund weltweiter Netze ähnelt in
frappierender Weise dem Verdauungsprozess des
Wiederkäuertiers Kuh.

Das Magen- und Darmsystem der Kuh, mit mehreren
Mägen und langen Darmschlingen weist Analogien
zum modernen Konzept des "verteilten Computing"
auf, wobei Rechenleistung über Netzwerke
verteilt genutzt wird.

Die Kuh kann nicht nur als Metapher für den
einzelnen Computer dienen, sondern auch für
weltweite Computernetz wie z.B. das Internet.
Deshalb sprechen wir von der "globalen Kuh" (in
Anlehnung an das "global village").

Die Kuh ist den heutigen Computern um viele
Evolutionsschritte voraus. Anders als Computer
ist sie ein nahezu perfekt sich selbst
erhaltendes System:
- sie ist weigehend wartungsfrei
- sie hat die Fähigkeit, sich selbst zu
reproduzieren
- Sie weist ein sinnvolles In- Output System
auf (Stimm- und Gestikerkennung, Touch-
sensible)
- ihre Einzelteile können mittels Recycling
auch nach ihrem Tod wiederverwertet werden.

In den Parallelverarbeitungseinheiten (Pansen)
der Kuh leben unterschiedliche Symbionten, wie
z.B. Bakterien, Amöben, Sporen, Pilze, u.a.
Mirkolebewesen. In einem interagierenden
komplexen system kooperieren diese Organismen
bei der Inputverarbeitung der Kuh.

Entspricht diese kollaborative
Verarbeitungsstruktur nicht weitgehend dem
Zusammenwirken der verschiedenen Internet-
Nutzergemeinschaften?

Die Mikrolebewesen im Kuh-Pansen bringen eine
erstaunliche ästhetische Vielfalt hervor, die
alles übertrifft, was wir von der
Computergrafik bisher kennen.


Anders als die offizielle Computerwissenschaft
greifen Hacker und Freaks bereits vielfach auf
die Metapher der Kuh zurück. Beispiele dafür
sind:
MOO - MUD Object Oriented (textbasierte
Mehrbenutzerwelten)
COW - Client of Win (UNIX-Client für Spiele)
ASCII - die Kuh als (ästhetisches Datenobjekt)

Doch die Kuh ist mehr als die Summe ihrer
Teile. Wir sollten die Kuh nicht nur analytisch
sehen, sondern sie in ihrer Einheit, in ihrem
sinnvollen Ganzen zum Vorbild der
computerwissenschaftlichen Forschung machen.

Die globale Kuh ist der ideale Computer der
Zukunft.

Es ist verwunderlich, daß sich die Kuh nicht
bereits längst als neue Computermetapher
durchgesetzt hat.

Die globale Kuh hilft uns auch heutige Computer
besser zu verstehen. Auf jeden Fall vermeiden
wir durch die Bezugnahme auf das Konzept der
globalen Kuh wissenschaftliche Paradoxien und
technodeterministische, das Leben denunzierende
Metaphern wie KI oder KL.

Es mag sein, daß es bessere Metaphern als die
globale Kuh gibt (geben wird?). Doch beim
augenblicklichen Stand der Forschung ist die
Kuh auf jeden Fall ein geeignetes Vehikel für
elementare Fortschritte in der Arbeit mit und
im Denken über Computersysteme und die
philosophische und soziale Problematik der
Technowissenschaften.


Manu Luksch und Armin Medosch
März 97 - August 97