Newsgroups: workspace.we_want_bandwidth


previous    top    workgroup    thread    next


Subject: Alles tot bei T-Ohneline
From: Karl Marx <clf@fcc.org>
Date: Thu, 17 Jul 1997 19:47:32 METDST


* * * * *



http://www.taz.de/~taz/intertaz/is_T970710.106.html


Alles tot bei T-Ohneline

Mit neuen Glasfaserleitungen, mehr
Einwählknoten und neuer Software
wollte die Telekom schnelle
Internetverbindungen schaffen. Nun
geht fast nichts mehr

Eine Sensation schien bevorzustehen. T-Online,
Europas größter Onlinedienst, wollte endlich auch
Europas schnellster werden. Doch nun
verweigern die Einwahlknoten einem großen Teil
der 1,6 Millionen Kunden den Zugang. Nichts
geht mehr - weder das Internet ist erreichbar noch
der T-Online-Dienst, über den sehr viele Kunden
ihre Bankgeschäfte abwickeln.

Schadenersatzforderungen stehen ins Haus.
Beinahe noch schlimmer als das Totalversagen
sind die Teilerfolge des neuen Telekom-Systems.
Manchen Kunden gelang es gestern nämlich trotz
allem, das Internet anzuwählen - aber nur einmal.
In Beschwerdebriefen an das T-Online-Forum
werden die Probleme geschildert, wenn es
tatsächlich mit der Einwahl per Software geklappt
hat: "Skriptfehler gleich am Anfang, unter 16
Farben nicht lesbares Hauptmenü,
Riesen-Banking-Programm, das nicht
funktioniert".

Oder: "Bis jetzt habe ich nur sage und schreibe
EINE Verbindung mit der neuen Software
geschafft. Mit der kam ich dann auf den Button
"Internet", drückte ihn und durfte dann
Windows95 neu installieren! Ich habe zwar keine
Daten verloren, aber mindestens 2 Stunden, bis
alles wieder lief."

Wann der Fehler behoben sein wird, ist noch
nicht absehbar. Die Software muß umgeschrieben
werden, räumt der T-Online-Sprecher ein. Mit
neuester Vermittlungstechnik wollte die
Telekom-Tochter "Online Pro Dienste GmbH &
Co. KG" Anschluß an die technischen Standards
finden, die das Internet vorgibt. In den 220
Vermittlungsstellen, die bundesweit unter einer
einheitlichen Nummer zum Ortstarif erreichbar
sind, wurden zusätzliche Rechner aufgestellt, die
nach dem Point-to-Point-Protocol (PPP) einen
direkten und schnellen Internetzugang
ermöglichen sollten.

Ein notorischer Engpaß soll damit beseitigt
werden. Bislang mußten Internetverbindungen
stets über die T-Online-Leitzentrale in Ulm
vermittelt werden, wo ein sogenannter
Gateway-Rechner für den Übergang vom einen in
das andere Netz sorgt und die notwendigen
Konvertierungen vornimmt. Das braucht seine
Zeit, und zu Spitzenzeiten waren die Rechner oft
hoffnungslos überlastet. E-Mail vom und ins
Internet brauchte manchmal länger als mit der
gelben Post, und Abrufe von Webseiten
außerhalb Deutschlands bescherten den Kunden
mitunter nur das berühmte weltweite Warten.

Ein Tanz auf zwei Hochzeiten zugleich

Das alles sollte nun endlich anders werden.
Etliche kleine und mittlere Provider arbeiten
bereits an eigenen, überall zum Ortstarif
erreichbaren Einwahlknoten. In Vergleichstests
belegte T-Online beim "Download", dem
Herunterladen von Programmen und anderen
Dateien, stets einen der hinteren Plätze, nun
stand auch noch der bislang uneinholbare
Konkurrenzvorteil außerhalb der großen Städte in
Gefahr.

Zwar wäre es für die Telekom keine große Sache
gewesen, die Einwahlknoten einfach auf den
PPP-Standard umzustellen. Leitungen sind im
Überfluß vorhanden, und man hätte, wie bei
CompuServe, auch die angebotenen Dienste
nach und nach dem neuen Standard anpassen
können. Aber unter dem Dach von T-Online
(vormals Btx und Datex-J) tummeln sich ein paar
tausend Anbieter, die sehr viel Geld in die
Entwicklung ihrer Onlinepräsenz nach deutschem
Standard gesteckt haben. Diese Investitionen
muß die Telekom schützen - selbst wenn ihre
Formate "CEPT" und "KIT" nicht mehr zeitgemäß
sind.

Für die Altkunden lohnt sich der Aufwand. In ein
paar Punkten sind die Normen der Telekom dem
Internet voraus: Sie erlauben, Geldgeschäfte mit
hohem Sicherheitsstandard abzuwickeln, und für
die angebotenen Dienste können individuell
Gebühren erhoben und über die Telefonrechnung
eingezogen werden.

Was in Deutschland schon seit den Zeiten der
alten Bundespost erfolgreich betrieben wird,
befindet sich im Internet erst noch im Stadium der
Erprobung. Damit war T-Online zu dem Spagat
gezwungen, alles gleichzeitig und mit
konkurrenzfähigen Übertragungsraten
anzubieten.

Die Lösung scheint genial: Schon am
Einwahlknoten verzweigen sich die Leitungen. Zu
den Internetleitungen (dem "Backbone") hier
entlang, die T-Online- Leitzentrale ist dort drüben.
Es ist technisch sogar möglich, beide Netze
gleichzeitig zu nutzen. Anwender können bei
T-Online ein Überweisungsformular ausfüllen,
während im Hintergrund eine komplette Webseite
in den Browser geschaufelt wird.

Doch Umstellungen dieser Größenordnung sind
nie problemlos, und die Telekom unterschätzte
die Masse ihrer Kunden. Das System wurde im
Vorfeld mit nur ein paar tausend Freiwilligen
einem sogenannten Beta-Test unterzogen. Die
dafür eingerichteten Knoten befanden sich in
Kleinstädten wie zum Beispiel in Fulda. Als die
CDs mit der neuen Zugangssoftware jedoch die
Kunden in den Ballungszentren erreichten, brach
mit einem Schlag alles zusammen. "Die Rechner
schmieren einfach ab", sagte gestern der
T-Online- Sprecher am Rande des
Nervenzusammenbruchs. Deswegen sind auch
die alten Knoten betroffen und akzeptieren die
Verbindung mitunter nur nach zahllosen
Einwählversuchen.

Mit der neuen Software, die automatisch die
neuen Knoten anwählt, ist so gut wie keine
Verbindung möglich. Die PPP-Einwahl scheint
zwar zu gelingen, doch dann geht es nicht weiter.
Da die Bildschirmmeldungen aber einen Fehler
des Kunden und nicht des Systems anzeigen,
probieren es Geduldige immer wieder und treiben
die Telefonrechnung in die Höhe - so verdient die
Telekom selbst noch an ihren eigenen Fehlern.

Ohnehin widersprechen die neuen
T-Online-Gebühren allen Grundsätzen einer
klaren und übersichtlichen Preisbildung. Wer die
neue Software (und damit die neuen Knoten)
nutzt, zahlt neben den Telefoneinheiten und den
acht Mark Grundgebühr einen einheitlichen
Zeittakt für Internet und T-Online von 8 Pfennig
pro Minute (Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr)
beziehungsweise 5 Pfennig (sonstige Zeit).

Damit ist zwar der Internetzugang um etwa dreißig
Prozent billiger geworden. Deutlich teurer wird es
aber für alle, die T-Online nur zum Homebanking
und dergleichen nutzen und dafür gar kein
Internet brauchen. Statt wie bisher 6 Pfennig
(werktags tagsüber) beziehungsweise 2 Pfennig
(alle anderen Zeiten) sind nun ebenfalls 8 oder 5
Pfennig pro Minute fällig. In dem onlinestarken
Zeitraum bedeutet das eine Preiserhöhung um
das Zweieinhalbfache.

Um Geld zu sparen, sollte man also die alte
Version nicht von der Platte putzen, sondern
damit bei reinen T-Online-Sitzungen die alten
Knoten anwählen - selbst dann, wenn die neuen
irgendwann einmal funktionieren sollten.

Dieter Grönling

groenling@vossnet.de

TAZ Nr. 5274 vom 10.07.1997 Seite 12 Internet
212 Zeilen
TAZ-Bericht Dieter Grönling