Subject: Netzköpfe gegen EierköpfeDate: Fri, 11 Jul 97 16:27:29 +0200x-sender: boris@mail.well.comFrom: Boris Groendahl <boris@well.com>To: "Marleen Stikker" <stikker@waag.org>
Die großen deutschen Internet Provider sind nicht unbedingt das, was man dicke Freunde nennen würde. Der Markt[1] für die Bereitstellung von Internetverbindungen en gros und en détail ist umkämpft, die Margen nicht allzu hoch und die zur Zeit noch gängigen Wachstumsraten von 100 Prozent werden auch nicht allezeit durchzuhalten sein.
Trotz aller Konkurrenz: bei zwei Themen kommt den kommerziellen Netzwerkern kollektiv die Galle hoch. Die Abneigung gegen die Deutsche Telekom[2] und ihre hohen Preise teilen sie noch mit dem überwiegenden Rest der Bevölkerung (minus den T-Aktionären[3]).
Doch in den letzten Wochen eskalierte ein Streit an ganz anderer Front, der gravierende Folgen für die Zukunft des Internet in Deutschland haben könnte: Die führenden kommerziellen Provider (EUnet, NTG/Xlink, IS Internet Services, Nacamar, ECRC u.a.) kündigten im Juni zum Jahresende ihre Verträge mit dem Verein zur Förderung eines Deutschen Forschungsnetzes (DFN)[4].
Der DFN betreibt das "Wissenschaftsnetzwerk" WiN[5], das Datennetz der deutschen Hochschulen. Und er betreibe die "Gefährdung von Arbeitsplätzen mittels deutschen Steuergeldern", meint Bernhard Biedermann, Geschäftsführer von IS Internet Services[6], einem der größten deutschen Internet Provider (u.a. der von "Spiegel online").
Der Grund für die starken Worte ist eine zunächst banal erscheinende Angelegenheit: die Regelung des Datenaustausches zwischen dem WiN und den Netzwerken der kommerziellen Provider. Dieses sogenannte Peering ist das, was aus dem Internet erst das "Netz der Netze" macht. In zentralen Knoten werden die Datenpakete zwischen den Teilbereichen, aus denen das Internet besteht, ausgetauscht. Erst das Peering eröglicht es, von überall her auf das gesamte Netz zuzugreifen, nicht nur auf das Angebot, das der eigene Provider gerade bereithält.
Das Peering wird üblicherweise, ganz seinem Namen (peer = Kumpel) und der Tradition des Internet gemäß, kooperativ abgerechnet: Alle an einen Knoten angeschlossenen Netze bezahlen gemeinsam dessen Unterhalt. Schließlich profitiert die gesamte Gemeinde von der Einrichtung. So wird es etwa beim Austauschpunkt DE-CIX[7] der kommerziellen deutschen Provider in Frankfurt gehandhabt.
Aber nicht beim DFN. "Der DFN ist das einzige Wissenschaftsnetz weltweit, das von den Providern Gebühren für die Zusammenschaltung der Netze verlangt", faßt Klaus Landefeld, Chef des Providers Nacamar[8] im hessischen Dreieich, den Grund für den Ärger der deutschen Datentransporteure zusammen.
DFN-Geschäftsführer Klaus-Eckart Maass stimmt dem freimütig zu. Bei der Anbindung der Provider an das WiN handele es sich ja auch gar nicht um ein Zusammenschalten von Netzen. Die Provider (besser gesagt: deren Kunden) seien vielmehr an dem Netz selbst, an den Ergebnissen der Universitätsforschung interessiert, meint Maass, und deshalb _Nutzer_ des WiN, genau wie die dort angeschlossenen Hochschulen und Institutionen.
Diese Sichtweise des DFN-Leiters verträgt sich allerdings nicht mit der tatsächlichen Richtung der Datenströme. Im Mai 1997 etwa standen den 134 Gigabyte, die vom Forschungsnetz beispielsweise zu Nacamar wanderten, 264 Gigabyte gegenüber, die die Nutzer des WiN von diesem Provider abriefen[9]. Das Interesse der Außenwelt an der deutschen Forschung scheint gerade mal halb so groß wie umgekehrt, jedenfalls gemessen in Datenmengen.
Auch die Auffassung des DFN, die deutschen Provider seien zahlungspflichtige Nutzer des WiN, läßt sich nur schwer damit zur Deckung bringen, daß das WiN auf der anderen Seite zwei fette transatlantische Leitungen mit einer Kapazität von je 45 Megabyte pro Sekunde von dem US-Backbone-Provider MCI gemietet hat. Hier werde mit zweierlei Maß gemessen, kritisiert Peter Zimmer, Chef von EUnet[10], dem Veteran unter den deutschen Providern: Warum er in der Logik des DFN Nutzer sei, der US-Provider aber als Dienstleister angesehen werde, dessen Dienste dem DFN 23 Millionen Mark im Jahr wert seien, will ihm nicht in den Kopf.
Bereits heute wird wegen der unzureichenden Anbindung des WiN an die kommerziellen Anbieter ein erheblicher Bestandteil dieser transatlantischen Bandbreite für Datenverkehr genutzt, der eigentlich gleich in Deutschland bleiben könnte. "Subvention von US-Telecom-Konzernen mit deutschen Steuergeldern", nennt das Bernhard Biedermann.
Allerdings mit deutschen Steuergeldern subventioniert ist der DFN selbst, der von Forschungsminister Rüttgers 80 Millionen Mark für den Ausbau zum B-Win (Breitband-WiN) 1996-98 erhalten hat. Im Ergebnis dieses Upgrades unterhält das WiN den dicksten Internetbackbone in Deutschland -- mit bis zu 155 Megabyte pro Sekunde. Angesichts dieses verlockenden Angebots hegen die Provider denn auch einen weiteren Verdacht: einige Hochschulen würden sich in Zukunft die Gelegenheit nicht entgehen lassen, in Zeiten knapper Haushalte die Universitätskasse dadurch aufzubessern, daß man selbst als Provider auftritt. Bereits heute bedienen sich forschungsnahe Firmen wie der Daimler-Benz-Konzern und zahlreiche Chemie- und Pharmaunternehmen (Schering, Merck) durch Kooperationen mit Hochschulen der großzügigen Bandbreite des WiN.
Der eigene Anschluß ans B-WiN hätte für die privaten Provider, die zur Zeit noch am älteren Schmalspur-WiN hängen, nochmals eine gesalzene Preiserhöhung bedeutet. Auf der DFN-Mitgliederversammlung im Juni machten sie darum einen letzten Versuch, den Anschluß des DFN an den Austauschpunkt DE-CIX zu bewirken. Die Professoren freilich, gestählt durch den Gremienkrieg an den Hochschulen, taktierten die Provider aus. Es kam zu einer knappen Ablehnung des Vorschlags bei vielen Enthaltungen.
Der eigene Anschluß ans B-WiN hätte für die privaten Provider, die zur Zeit noch am ohnehin überalteten älteren Schmalspur-WiN X.25 hängen, nochmals eine gesalzene Preiserhöhung bedeutet. Auf der DFN-Mitgliederversammlung im Juni machten sie darum einen letzten Versuch, den Anschluß des DFN an den Austauschpunkt DE-CIX zu bewirken. Die Professoren freilich, gestählt durch den Gremienkrieg an den Hochschulen, taktierten die Provider aus. Es kam zu einer knappen Ablehnung des Vorschlags bei vielen Enthaltungen.
In der Folge kündigten die Provider ihre bestehenden Verträge mit dem DFN zum Jahresende. Sollte es nicht noch zu einer Einigung kommen, wäre die Folge, daß der Datenaustausch zwischen dem WiN und dem Rest des deutschen Internet nurmehr über die USA möglich ist. Erhebliche Geschwindigkeitseinbußen und höhere Kosten wären für alle Beteiligten damit verbunden.
Trotz der Drohgebärden der Provider läßt sich Klaus-Eckart Maass nicht aus der Ruhe bringen. Er habe keinen Streit mit den Providern, versichert er. Gerade habe er einen neuen Vorschlag für deren Anschluß ans B-WiN ausgearbeitet, der den Beteiligten vermutlich in der nächsten Woche zugehen werde. Dann werde man sich schon zusammenraufen.
Boris Gröndahl 11.